von Amelia » 04.06.2010, 19:06
Gerade kommen wir vom Krankenhaus. Er hat nun den Luftröhrenschnitt. Man sieht, wie er mit der Atmung kämpft. Das Herz war hoch, über 159.
Heute war eine nette Ärztin da, die uns zu sich ins Zimmer holte. Aber auch sie hat uns klipp und klar gesagt, daß es zuende geht. Den Sauerstoff, den sie ihm zuführen, könne er auch nicht mehr aufnehmen. Man könne nichts mehr machen. Es sei ein Multibles Organversagen, und dazu spiele auch noch das Alter (72 ist er) und nun auch sein extremes Kettenrauchen mit rein, was es zusätzlich erschweren würde. Auch die Zeit im Koma zum auskurieren würde ihm nicht mehr helfen. Und wir sollen uns darauf einrichten, ihn zu verlieren. Meine Mutter ist völlig am Ende. Ich auch. Aber ich muß ja funktionieren. Ich mußte im dichten Verkehr den Weg mit verheulten Augen nach hause fahren, und meiner heulenden Beifahrerin noch gut zureden.
Die Ärztin hat aber gesehen, wie ich am Ende bin. Sie hat gesagt, wir sollen uns dringend eine Auszeit nehmen, und morgen nicht kommen. Wir müssen auch an uns denken. Helfen könnten wir ihn nicht, und der Anblick sei ja nun, wo man sehe, wie er nach Luft kämpft auch sehr schlimm zusätzlich für uns. Das werden wir morgen auch so machen. Mir fehlt ja auch der erholende Schlaf über die ganzen Tage. Ruhe bekomme ich hier nicht. Weil meine Mutter ständig irgend ein unsinniges unwichtiges Anliegen vorbringt. Gestern mußte ich das Beet machen, heute soll ich ncoh Rasen mähen. Dabei kann ich kaum noch stehen. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet, dann die Aktion mit dem KH, und meine Arme zittern immer noch leicht vom Anrufschock gestern nacht. Aber das nützt alles nichts. Wenn ich was dagegen sage ist sie sofort heulbeleidigt. Also gehe ich gleich runter.
Ich kann hier leider nicht zur Ruhe kommen und Kraft schöpfen. Wenn ich unten bei ihr bin, und frage, ob ich was machen soll. verneint sie es. Bis zur 5. Stufe der Treppe komme ich vielleicht, dann zetert sie schon wieder was!
Na gut, ich will mal in den Garten. Nicht daß die Nachbarn mich noch anzeigen, wenn ich zu spät den Rasen mähe.
Viele Grüße
und Danke Euch allen für die lieben Worte
von Monsti » 04.06.2010, 19:23
Hallo Amelia,
das alles hört sich überhaupt nicht gut an. Falls es Euch ein kleiner Trost ist: Dein Vater hat keine Schmerzen und wird irgendwann ruhig entschlafen.
Auch ich denke, Du und Deine Mutter sollten (zumindest zeitweilig) 100%ig an Euch selbst denken. Ich kann mir vorstellen, dass Euch dies gerade immens schwer fällt, es ist aber wichtig. Unternimm einen Spaziergang in einer schönen Gegend, lies ein spannendes Buch, geh' ins Kino oder was auch immer. Rasenmähen gehört offenbar nicht zu Deinen Lieblingsbeschäftigungen, also verzichte doch bitte darauf. Die Welt geht schon nicht unter, wenn das Gras mal ein bisserl höher steht. Und häng' nicht permanent mit Deiner Mutter zusammen. Das tut Euch beiden nicht gut. Dein Vater hat überhaupt nichts davon, wenn Ihr psychisch und physisch auf dem Zahnfleisch kriecht. Ich glaube, dies wäre auch nicht in seinem Sinne.
Ich wünsche Euch viel Kraft und schicke liebe Grüße
Angie
von Amelia » 05.06.2010, 13:08
Bisher hat das Krankenhaus noch nicht angerufen. Heute Morgen hatte ich ab 8 Uhr richtig Angst.
Ich wollte so gerne mal in die Stadt gehen, Geschäfte ansehen, mich ablenken. Aber das durfte ich nicht. Mit wollte meine Mutter nicht, und alleine durfte ich nicht weg. Da bekam sie gleich wieder einen Heul-Beleidigt-Anfall. Erholung somit unmöglich.
Dabei sagte die Ärztin gestern extra: Passen Sie auch Ihre Tochter auf, entlasten Sie sie! Aber leider sieht sie eben nur das, was für Sie am besten ist (wie immer also). Und sie will weder mal woanders hin, noch alleine sein.
Dann musste ich den Rasen mähen. (gestern war es zu spät). Der Rasen geht mir persönlich völlig am (na Ihr wisst schon) vorbei. Aber das mit dem Rasenmähen ist krankhaft in unserer Familie. Als mein Onkel damals im sterben lag, brach meine Tante den Urlaub ab. Thema war nicht er, sondern, wer mäht nun seinen Rasen. Es wurde dann sogar ein externer Gärtner dazu beauftragt, bis das Haus verkauft war. Der hat uns auch schön bestohlen. Aber das mußte ja damals so sein.
Da meine Mutter nicht mehr kann, mußte mein Vater immer den Rasen mähen, wozu sie ihn auch immer so genötigt hat. Heute bei mir war sie dabei, gab Befehle. Laufend musste ich das Gerät ausstellen, um Ihr Genöle zu hören. Die Ränder und Ecken musste ich mit der Schere schneiden. Da konnte ich schon nicht mehr. Ich habe einen Knick in der Wirbelsäule, der mir die Luft wegnimmt. Knapp 2 Jahre nehme ich nun kein Cortison deshalb mehr, aber heute hätte ich es fast gemusst. Ich weiß genau, was ich mir zumuten kann. Aber das zählt für meine Mutter leider nicht.
Körperlich und nervlich bin ich mittlerweile so fertig, daß ich kaum noch mit dem Hund Gassi gehen kann. Ich habe zu funktionieren.
Ich hoffe, ich jammere Euch jetzt nicht mit meinen derzeitigen Problemen was vor, und nerve Euch damit. Bitte einfach bescheid sagen, wenn dem so ist.
Liebe Grüße
Amelia
von tierfreund » 05.06.2010, 13:47
Hey Amelia,
Amelia hat geschrieben:Ich hoffe, ich jammere Euch jetzt nicht mit meinen derzeitigen Problemen was vor, und nerve Euch damit. Bitte einfach bescheid sagen, wenn dem so ist.
Amelia hat geschrieben:Körperlich und nervlich bin ich mittlerweile so fertig, daß ich kaum noch mit dem Hund Gassi gehen kann. Ich habe zu funktionieren
von Amelia » 05.06.2010, 17:56
Glaub mir, das hat keinen Zweck! Das war schon immer bei uns so, daß das, was sie befahl Gesetzt ist.
Beispiel: Gartenzwerge mußten raus, hatte sie befohlen. Das haben wir, mein Vater und ich noch gemeinsam gemacht. Richtig war es aber trotzdem nicht, weil "der Zwerg immer dort steht - und der andere dort..."
Durch die Medikamente, die sie nimmt, ist das noch schlimmer geworden. Normalerweise steht ihr auch eine Hilfe zu. Aber ins Haus kommt niemand fremdes. So bin ich vor uns noch der Arbeit nun auch noch alleinige Altenpflegerin. Wenn mein Vater auch nicht viel gemacht hat, so war er da, und hat doch einige Sachen schon mal erledigt. Zudem war ich beruhigt, daß sie nicht alleine zuhause ist, wenn ich arbeiten bin.
Mein Pferd habe ich deswegen schon seit Jahren in Beritt, und kann es nur am Wochenende besuchen. Bekannte verstehen das immer nicht. Aber meine Eltern sind auch mindestens 15 Jahre älter als die gleichaltriger Leute.
Und zudem bin ich bin ganz allein mit allen. Ich hatte nie viele Freundinnen. Und die beiden, die ich hatte, haben mich als sie Ihre Männer kennenlernten einfach im Stich gelassen, obwohl wir von Kindheit an befreundet waren. Aber was soll's daran habe ich mich gewöhnt! Wem ich nach 23 Jahren Freundschaft so egal bin, der ist mir ebenfalls egal! Ich komme sonst alleine super klar. Aber nicht in dieser Situation mit meiner Mutter, die ich nun ganz alleine ertragen muß.
Ich würde wenigstens morgen so gerne mal mein Pferd besuchen. Das darf ich aber nicht. Das Krankenhaus könnte anrufen, dann ist sie ganz alleine. Mitkommen, und auch mal was anderes sehen, will sie nicht. Und das sei ja wohl auch unmöglich, daß ich es wage in so einer Situation überhaupt weg zu wollen. Das durfte ich mir morgens heute alles schon einmal anhören. Mein Leben ist nun ebenfalls zuende!
von Monsti » 05.06.2010, 19:22
Liebe Amelia,
Mein Leben ist nun ebenfalls zuende!
von Amelia » 05.06.2010, 19:56
Das geht leider nicht. Zum einen, weil meine Mutter mich schon seit Kindesbeinen an zu manipulieren weiß (Stichwort schlechtes Gewissen, Unsicherheit), was ich auch bis heute nicht unterdrücken kann. Und Sie in Ihrer jetzigen Situation alleine lassen kann ich doch auch nicht.
Wenn mein Vater stirbt, müssen wir zusehen, wie wir das alleine hinbekommen. Und ich hoffe, daß sie wenigstens ein Einsehen haben wird, dann doch irgendwann mal den Pflegedienst in Anspruch zu nehmen.
von Monsti » 05.06.2010, 20:22
Hallo Amelia,
das ist Dein Ding. Ich könnte es so nicht, da bin ich mir sicher. Ich wollte Dir auch nicht reinreden, sondern Dir nur sagen, dass es auch Alternativen gibt. Geht nicht, gibt's nicht. Es geht alles, wenn man wirklich will.
Wie gesagt, das hat mit Deinem eigentlichen Anliegen nichts mehr zu tun. Deinem Vater wünsche ich von Herzen ein friedliches und schmerzfreies Entschlafen. Und wenn er geht, sei - wenn möglich - bei ihm.
Ganz liebe Grüße
Angie
von Amelia » 06.06.2010, 20:36
Hallo,
heute waren wir wieder da. Aber es ging nur meine Mutter zu meinem Vater rein. Ich kann das einfach nicht mehr ertragen! Ich kann keine Kraft mehr schöpfen, wo schon lange keine mehr ist, und sich auch keine aufbauen kann. Die Ärzte sagten, es ginge ihm sehr schlecht. Sie würden die Mittel nun nicht mehr erhöhen, da es nichts bringe, und er bekäme ja schon Maximum.
Die Atmung (das Anheben des Brustkorbes, was vorgestern eindeutig ein "Schlecht-Luft-Bekommen" war, war nicht mehr so schlimm. Das Herz (Puls nun auf 129 (anstatt 159).
Ich weiß nicht, ob das doch eine kleine unerwähnendswerte Verbesserung sein könnte, oder ein Zeichen für das langsame Aufgeben und Sterben.
Weiß von Euch da jemand Näheres?
Liebe Grüße
Amelia
von Monsti » 06.06.2010, 21:22
Liebe Amelia,
in einer solchen Situation hängt man definitiv zwischen Leben und Tod. Was gewinnen wird, weiß niemand. Das klingt hart, ist aber so. Manchmal geschehen zwar Wunder, doch rechnet nicht damit. Es tut mir leid, dass ich Dir nichts Schöneres schreiben kann.
Das Sterben ist mitunter sehr unspektakulär. Als es bei mir ganz, ganz knapp davor war, wurde ich vollkommen ruhig, wenn auch etwas traurig, weil am Nachmittag mein Mann kommen wollte. Ich war ganz bei Sinnen, nur entsetzlich müde. Auf meinem Bettkasterl hatte ich Bilder von meinem Mann, unseren Viechern und dem Haus mit Garten. Mit größter Anstrengung schaute ich mir diese Fotos an, verabschiedete mich von allem und steckte die Bilder in die Schublade, weil ich dann nur noch eines wollte: schlafen, und zwar für immer.
Bei mir hatte es noch nicht sein sollen. Aber alle hatten an jenem Tag mit meinem Ableben gerechnet, man hatte auch schon meinen Mann informiert. Verstehst Du? Im Zustand zwischen Leben und Tod entscheiden mitunter ganz winzige Kleinigkeiten. Es ist (auch für Ärzte) unmöglich, in einer solchen Lage eine Prognose zu stellen.
Bitte, bitte tu jetzt etwas Gutes für Dich. Dein Vater hat überhaupt nichts davon, wenn Du zusammenklappst. Deine Mutter ist eine erwachsene Person, für die Du nicht Kindermädchen oder Auftragsnehmerin sein solltest. Aber da wiederhole ich mich.
Liebe Grüße
Angie
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