von Linie 22 » 26.11.2009, 17:58
Artikel aus: APOTHEKEN Umschau vom 15.November 2009
Ausgabe B
„Das Wichtigste ist, mutig zu sein"
Stuhlinkontinenz Psychologin Gabriele Dlugosch hilft Menschen mit Darmschwäche, ihre Angst- und Schamgefühle zu überwinden
Frau Dr. Dlugosch, wie viele Menschen sind in Deutschland stuhlinkontinent?
Schätzungsweise ein bis fünf Prozent der Bevölkerung vermögen ihre Darmfunktion nicht mehr so zu steuern, dass sie festen Stuhl zurückhalten können. Doch die Dunkelziffer ist vermutlich hoch - vor allem, wenn man die leichteren Formen der Stuhlinkontinenz berücksichtigt: den unkontrollierten Abgang von Winden und flüssigem Stuhl. Aus eigenen Studien wissen wir, dass die Betroffenen zunächst vermeiden, das Problem beim Arzt anzusprechen. Bis sich die Symptome schließlich nicht mehr verheimlichen lassen, vergeht viel Zeit, in der Betroffene den Beschwerden etwa durch Beckenbodentraining entgegenwirken könnten. Je länger man wartet, desto größer ist das Risiko einer Chronifizierung.
Was belastet die Patienten im Alltag?
Die Angst, jemand könnte abgehende Winde hören oder den Verlust von Stuhl riechen. Sie führt dazu, dass die Betroffenen sich sozial zurückziehen. Sie treffen sich nicht mehr mit Freunden, verreisen nicht mehr. Oft weiß nicht einmal der Partner über die Probleme Bescheid, und die Betroffenen verwen-den viel Energie darauf, mögliche Hinweise zu vertuschen. Ihre Lebensqualität leidet.
Was kann den Psycho-stress entschärfen?
Das Wichtigste ist, mutig zu sein und den Teufelskreis aus Scham und Angst zu durchbrechen. Also über das Problem zu reden, sich auszutauschen - etwa mit anderen Betroffenen oder einem Menschen, dem man vertraut und auf den man sich verlassen kann.
Wie können Probleme in der Beziehung und mit der Sexualität gelöst werden?
Bei unseren Beratungen versuchen wir, Wege aufzuzeigen, wie man zusammen mit dem Partner
Peinlichkeit und Scham überwindet. Das ist vor allem dann nicht einfach, wenn die Partnerschaft noch jung ist. Wir unterstützen Ratsuchende dabei, die Herausforderung anzunehmen, ihre Ressourcen in der Beziehung zu stärken und eigene, individuelle Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Was hilft Patienten dabei, Lebensqualität und Sicherheit wiederzugewinnen?
Das Wissen, sich auf Hilfsmittel und Medikamente verlassen zu können. Deshalb sollten sich die Patienten ausreichend mit Einlagen oder Analtampons ausrüsten, sodass sie diese im Notfall schnell wechseln können. Auch Feuchttücher und Salben für die Hautpflege stets parat zu haben erhöht das Gefühl der Sicherheit. Nach Rücksprache mit dem Arzt kann der Darm mithilfe von Medikamenten oder Spülungen vollständig entleert werden. Der Betroffene ist dann für ein paar Stunden stuhlfrei, sodass Zeitfenster für soziale Aktivitäten wie Kinobesuche entstehen.
Wo können sich Betroffene über Hilfsmittel informieren?
Zum Beispiel in Selbsthilfegruppen. Dort kann man sich online auch anonym austauschen. Kompetente Ansprechpartner sind zudem die Berater der diversen Kontinenzzentren sowie die Apotheken und Sanitätshäuser.
Wenn Betroffene ärztliche Hilfe suchen, was sollten sie dabei beachten?
Unsere Studie ergab, dass es manchmal sehr lang
dauert, bis die Betroffenen bei einem kundigen
Facharzt landen. Am besten ist es zweifellos, sich
möglichst früh an ein Kontinenzzentrum oder ei
nen Proktologen zu wenden. So nennt man Ärzte,
die für Erkrankungen des Anus und des End
darms zuständig Sind. Interview: Ute Essig
Hilfreiche Adressen
Deutsche Kontinenz
Gesellschaft e.V.,
Internet: www.kontinenz-
gesellschaft.de
Selbsthilfeverband
Inkontinenz e.V.,
Internet: www.selbsthilfe-
verband-inkontinenz.org
Inkontinenz Selbsthilfe
e.V., Internet: www.inkonti-
nenz-selbsthilfe.com
Dr. Gabriele Dlugosch ist
Psychologin am Zentrum für empirische pädagogische Forschung der Universität Koblenz-Landau
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