von Huepiline » 26.01.2010, 20:00
Moin liebe Annika !
Ich kann Dich so gut verstehen, weil auch ich mich vor etwa zwei Wochen in einem ziemlichen Tief befunden hab.
Ich darf zur Erklärung ein wenig ausholen -
Also ich habe ja im Oktober eine Antikörpertherapie mit Removab gemacht und dachte ich hätte nun mal ein bisschen Ruhe - aber nix da. Ich habe direkt unter der Bauchdecke einen für mich tastbaren Tumor, der immer größer wurde inzwischen von knapp 1cm auf etwa 8cm und das in so kurzer Zeit . Zunächst hieß es den könnte man locker rausschneiden, aber leider wurde nachdem ich auf ein PET-CT drängte, festgestellt das die Situation insgesamt ziemlich schlecht aussieht . Deutliche Zunahme von Tumormasse im gesamten Bauchraum und auch in den Lymphknoten am Hals sitzt der Krebs inzwischen. Schnippeln hatte sich somit erledigt und man legte mir eine neue und tatsächlich vielversprechende Kombi - Chemo nahe. Vor zwei Wochen hab ich damit angefangen. Zuvor musste ich mir noch einen neuen Port legen lassen. Dazu bekam ich einen Termin in einem KH in Hannover. Dort hat man mir dann gesagt man würde den neuen Port lieber auf der linken Seite platzieren (bisher hatte ich ihn rechts) und "90% der Bevölkerung haben da eine Vene..." toll ich aber offensichtlich nicht, denn bei der OP die in örtlicher Betäubung erfolgte, stocherte man ewig herum so dass ich auch echt Schmerzen hatte, um dann unverichteter Dinge abzubrechen . Ich sollte über Nacht bleiben, weil man dann am nächsten tag das ganze unter leichter Vollnarkose nochmal probieren wollte. Da ich damit nicht gerechnet hatte und nicht einsehen konnte weshalb ich im KH bleiben sollte, machte ich tatsächlich ´nen Aufstand .
Ich war richtig verzweifelt, weil es nicht so klappte wie eigentlich geplant und mich das echt sehr belastete. Dann gab es noch einige andere Dinge die schief liefen, manchmal war auch einfach nur jemand unfreundlich und ich bezog das immer sofort auf mich. Irgendwie nach dem Motto, "jetzt hab ich ´s sowieso schon so schwer und dann kommt sowas noch dazu, das muss doch nicht sein." Folglich war ich oft am heulen, vielleicht aber auch deswegen, weil jetzt erst langsam sackte was mir von meiner Frau Prof gesagt wurde, nämlich in etwa : "Also Frau .....,nun machen wir mal keine Pläne für die nächsten Jahre, sondern von Jahr zu Jahr und hoffen sie haben noch ein paar davon. Prinzipiell sollten sie sich aber im Klaren sein da gibt es nicht mehr viel was wir tun können, die Therapieoptionen werden immer weniger. Wir setzen jetzt große Hoffnung in die Chemo, kontrollieren das nach 3 Zyklen mal und dann sehen wir weiter."
Außerdem empfahl sie mir auch schon mal "meine Sachen zu regeln" das könne ja nicht schaden, Patientenverfügung, was mit meinem Sohn passieren soll nach meinem Ableben und wo es für den Ernstfall dann ein Hospiz gibt .
Tja, ich gehöre zwar zu denen die immer alles ziemlich genau und oft auch relativ gelassen alles wissen wollen, aber diesal hatte ich irgendwie ein anderes Gefühl, wahrscheinlich weil so lange nichts positives mehr kam.
Ich hatte zwar vom Kopf her beschlossen, das es mir jetzt nicht schlagartig schlecht gehen sollte, nur weil es eben diesen Befund gab, aber das ließ sich nicht so einfach umsetzen. Stattdessen fragte ich mich auch schon mal ob sich der ganze Mist noch lohnen würde. Was sollte denn da noch soooo tolles kommen, wäre es nicht besser sich langsam auf das Ende vorzubereiten. NEIN, ich hab immer gesagt wenn ich von dreißig Tagen noch ein paar gute Tage habe, lohnt es sich allemal weiter zu kämpfen. Außerdem möchte ich meinem Sohn noch ein bisschen "Stärke" für´s Leben vermitteln und ihn in die richtige Richtung schubsen .
Ich war für einen Moment so´n bisschen ohne Ziel und entwurzelt, aber nun hab ich wieder kleine Ziele. Es gibt noch Reisen, die ich gern machen möchte.Hab einen Gutschein für eine mehrtägige Reise nach Dresden von meinem Süßen geschenkt bekommen und freu mich da tierisch drauf , auch wenn es erst im Sommer/Herbst klappen wird. Zwischendrin wird es immer mal wieder Momente geben, die schwierig sind, aber man muss sich wieder aufraffen. Ich habe übrigens das Buch "Leben nach dem Tod" von Raymond A. Moody gelesen. Ein wirklich interessantes Sachbuch, was mir in meiner Phase der beinahe "Selbstaufgabe" sehr geholfen hat.
Tja, ich weiß die nächsten Wochen und Monate werden nicht einfach- aber solange nur ein bisschen Hoffnung besteht, mach ich, was auch immer gefordert wird.
Dazu gehört auch mit Mundschutz rumzulaufen, was einem Spießrutenlauf mitunter sehr nahe kommt. Dauernd hört man Sprüche wie - ist bestimmt die Schweinegrippe oder ähnliches, aber ich hab inzwischen gelernt mir da auch ein dickes Fell zuzulegen. Dieses pendeln zwischen meiner Insel und der MHH ist aber schon sehr anstrengend, ich hoffe ich schaffe das immer, zumal hier im Moment ja der Fährverkehr fast eingestellt ist wegen des Eisgangs.
Ach wird schon irgendwie klappen...
Was ich vermeiden würde, ist irgendwelche Pyschopharmaka zu nehmen, das hüllt Dich nur in einem Wattebausch und die eigentlichen Probleme bleiben trotzdem bestehen.
Such Dir am besten irgendwas auf das Du "hinarbeiten" kannst - ein klares Ziel, wenn man sich dann darauf konzentriert lohnt sich wieder vieles ! Sei lieb zu Dir selbst oder versuche anderen zu helfen, das sind Dinge die einem dann auch helfen können
Alles Liebe und Gute für Dich
bye Huepiline
von doro » 26.01.2010, 20:08
Huepeline,ich bewundere Deine positive Einstellung.Richtig,nur so geht es weiter.Ach wird schon irgendwie klappen...
von Linie 22 » 26.01.2010, 20:13
Huepiline hat geschrieben:
Es gibt noch Reisen, die ich gern machen möchte.Hab einen Gutschein für eine mehrtägige Reise nach Dresden von meinem Süßen geschenkt bekommen und freu mich da tierisch drauf
von doro » 26.01.2010, 21:37
ich wohne gleich nebenan.
von Linie 22 » 26.01.2010, 23:43
doro hat geschrieben:ich wohne gleich nebenan.
Och Linie,wir waren zum Jazz-Festival in 09 vor Ort.Ein kundiger Dresdenführer/in wäre optimal gewesen.Es hätte auch ein leckeres Abendbrot bei Herrn Kempinski im Hoflokal gegeben.
von Jutta B » 27.01.2010, 07:04
Tja, ich habe da meine eigenen Gedanken zu .
Ein Mensch, welcher seither nur pessimistisch durchs Leben ging, kann nicht von heute auf Morgen "positives Denken/Leben" lernen. Ich bin einer jener extrem Optimistischen, denen Pessimismus schwer fällt...ich kann es nicht lernen.
Wenn jemand mit einer pessisimistischen Grundeinstellung lebt, müssen erst die Faktoren (Urängste usw.) dieses Pessimissmus geklärt werden, um einen Ansatz zur positiveren Einstellung zu gewinnen. Das ist richtig harte Arbeit, die ganz tief geht. Ängste, die Pessimismus auslösen müssen zuerst überwunden werden.
Was helfen kann ist, z.B. abends (jeden Abend) sich 3-5 angenehme Dinge des Tages in Erinnerung zu rufen und dann aufschreiben. Durch das Aufschreiben, in Erinnerung holen, erzeugen sie wieder ein "gutes" Gefühl. Keine großartigen Ereignisse, sondern vllt. nur das herzhaftes Lachen eines Kindes, ein gutes Essen, ein gutes Gespräch. Dinge, die Wohlbehagen erzeugen.
Sitzt man seelisch dennoch zu tief im Loch sind leichte Antidepri nicht immer das Verkehrteste, um dem Loch ein neues Ufer zu geben.
von Beutelmaus » 27.01.2010, 09:27
Hallo Huepiline @all,
Deine Zeilen machen Mut und geben Stärke, denen den es gesundheitlich besser geht als Dir. Da fällt mir ein „enjoy the moment and keep your dreams alive".
Vielen Dank, alles Gute und ganz liebe Grüße von
Monika
von Rübe77 » 27.01.2010, 10:31
@ Huepiline
Deine positive Einstellung und deinen Mut, deinen Lebenswillen muss man einfach nur bewundern - Hut ab! Da bekommt man fast ein schlechtes Gewissen, wenn es einem selbst gesundheitlich viel besser geht und man trotzdem oft mit diesen Löchern zu kämpfen hat.
@ Annika
Ich kann dich total gut verstehen, mir geht es ähnlich. Eigentlich geht es mir gesundheitlich ganz gut, aber ich kämpfe seit Jahren immer wieder mit Depressionen, den "tiefen schwarzen Löchern" und vor allem mit Angst. Früher, als Kind und Teenager, war das anders, ich war immer voller Lebensfreude und Optimismus, habe in noch so negativem noch was Gutes gesehen und meine Familie, Freunde und Bekannte haben es immer bewundert, dass ich trotz der körperlichen Einschränkungen so voll Energie war, KH-Aufenthalte und Infekte und immer mal wieder Rückschläge so gut wegsteckte und so ein "Stehaufmännchen (-frauchen ) war. Aber vor ca. 8,9 Jahren ist meine positive Lebenseinstellung genau ins Gegenteil umgekippt und es ging mir hundsmiserabel. Ich muss dazu sagen, dass ich meine Behinderung bis dahin immer abgelehnt und so weit es ging ignoriert habe. Heute weiß ich, wie falsch das war, und es dauert Jahre, bis ich das alles aufgearbeitet habe. Es holte mich also ein, daraufhin habe ich eine Psychoanalyse gemacht, um die Ablehnung, ja fast Selbstverleugnung und alle Ängste, die dahinter stehen, zu klären. Die Therapie hat gut geholfen, es ging mir viiiieeel besser. Durch neue Lebensumstände (Ende des Studiums und unsicherer Berufsanfang, das erste feste Zusammenleben mit meinem Freund (und bald Verlobten ) kamen die Depris wieder, und die Angst ganz massiv. Eigentlich hätte ich Grund, mich zu freuen und positiv in die Zukunft zu blicken, aber irgendwie hab ich Angst vorm Leben und der Zukunft. Angst, dass der Körper meine Einschränkungen irgendwann nicht mehr so gut kompensieren kann wie bisher, dass er mich in die Knie zwingt, dass ich irgendwann arbeitsunfähig bin .... Es sind ungelegte Eier, und ich muss und will raus aus dem Teufelskreis und diese "Lebensangst" endlich in den Griff kriegen und mich am Leben mit seinen vielen schönen Dingen freuen können! Aber mir geht es wie dir, Annika, jedes Mal, wenn wieder was Neues kommt frage ich mich "Warum ich? Was kommt noch? Warum kann ich nicht glücklich und unbeschwert leben dürfen?". Deshalb finde ich es sehr schön, was
@ Jutta
geschrieben hat - genauso ist es, die kleinen schönen Dinge jeden Tag sehen können. Versuche das doch mal, Annika, es ist bestimmt eine erste Hilfe.
Ich wünsche dir, dass du das Leben bald wieder etwas mehr genießen udn dich daran freuen kannst!
Alles Liebe,
Angelika
von Linie 22 » 27.01.2010, 11:46
Hallo,
meine beiden Stoma OP-en habe ich im Darmzentrum des Bethanien Klinikums Chemnitz durchführen lassen.
Das Bethanien ist ein christlich religiöses KH. Ich selbst gehöre dieser und auch anderweitig keiner Religion an.
Den Glauben, welcher im Bethanien vertreten wird, akzeptiere und respektiere ich mit Selbstverständlichkeit.
Das dortig aktive Personal therapiert nicht nur Patienten, NEIN, es bietet ihren Patienten, ob gleicher Religion und auch nicht, die nötige Zuwendung.
Als ich also eines Tages wiedermal so richtig in Depri verfallen war und selbige Fragen
Rübe77 hat geschrieben:.... frage ich mich "Warum ich? Warum kann ich nicht glücklich und unbeschwert leben dürfen?".
von Rübe77 » 27.01.2010, 12:16
Hallo Silke,
den Satz deiner kenne ich, und vielleicht ist sogar was Wahres dran? Ich bin in einer christlich geprägten Familie aufgewachsen, und auch wenn ich selbst nicht sehr religiös bin oder zumindest keinen Glauben aktiv praktiziere, hat er mir in den schwärzesten Augenblicken meines Lebens geholfen. Wenn die Depris so schlimm waren, dass ich dachte, das Leben rinnt aus mir heraus und ich zu nichts mehr Kraft hatte, in mir alles abgestorben und ich nur noch Leere, Schmerz, Verzweiflung und Weinen war, habe ich manchmal Gott angefleht er möge mir die Kraft geben, diese Krise durchzustehen. Und ich hatte das Gefühl, da ist jemand, der sieht dich wie du bist und er liebt dich wie du bist und er schaut dich an und sagt: "Du bist nicht allein, ich gehe mit dir." Ich bin sonst, wie gesagt, nicht so religiös, aber diese Erfahrung war unglaublich wichtig für mich und hat mir enorme Kraft gegeben.
Erst neulich habe ich übrigens ein Zitat gehört, weiß aber leider nicht mehr von wem, was aber im Prinzip dasselbe aussagt: "Leid(en) bringt die stärksten Charaktere hervor". Ich denke, da ist was dran!
Beste Grüße,
Angelika
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