von henrie » 20.02.2009, 17:02
Hallo sunny,
meine Mutter ist über 90 und hat eine demenzielle Erkrankung und hat seit Herbst 07 ein Colostoma.
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Ach weißt du, ich hab jetzt etliche Sätze angefangen und ich komme nicht weiter, denn deine Fragestellung trifft den Kern der Sache nicht so recht. Insofern wundert es mich auch nicht, wenn du keine Literatur dazu findest.
Es gibt mit dem Stoma selber ja keine Komplikationen/ Besonderheiten/ Schwierigkeiten per se durch eine demenzielle Erkrankung.
Ich mein, körperlich gibt es ja keine Unterschiede und je nachdem was das Stoma für Eigenheiten hat, gibt es Komplikationen wie bei allen anderen auch.
Frag vielleicht lieber, was kann man falsch machen oder wie macht man es richtig. Wie kann man einem demenziell Erkrankten die körperlichen Veränderungen und die Notwendigkeiten nahebringen und ihm helfen, damit zurechtzukommen. Und das ist wie bei anderen Erkrankungen oder sonstigen Dingen auch.
Mal ganz allgemein betrachtet, wird ein Mensch mit einer Demenzerkrankung aufgrund der Hirnleistungsstörungen das Stoma nicht selber versorgen können, klar, hohes Alters und/oder körperliche Gebrechen kommen oft dazu. Also kommt es auf die richtige Begleitung, den/die Pflegenden an.
Versuche dich mal in mal in die Lage eines Menschen zu versetzen, der verstandesmäßig nicht begreifen kann, was das Stoma ist und warum jetzt ein Beutel am Bauch hängt. Welche Gefühle ruft das in ihm hervor? Wie verwirrend muss das sein! Welche Ängst muss das auslösen.
Wie gehe ich jetzt mit diesem Menschen um? Er kann sich nicht gut ausdrücken, er kann die Lage nicht rational reflektieren. Er hat eine große, stundenlange Operation hinter sich, fast immer mit einem postoperativen Durchgangssyndrom verbunden, das heisst, er ist akut in einem nur langsam abklingenden psychotischen Zustand. Die Demenz hat sich durch die Narkose erstmal erheblich verschlechtert.
Was bedeutet es dement zu sein? Demenz ist der zunehmende Verlust des Gedächtnisses und der Fähigkeiten. Nicht nur Ereignisse oder Gespräche werden vergessen, auch ganz elementare Interpretationen von Sinneseindrücken, Sehen, Schmecken, Riechen, Hören, das Körpergefühl - all diese Dinge sind Gehirnleistungen und bei Störung derselben stark verändert. Ein Nadelpieks kann als größter Schmerz empfunden werden, großer Schmerz vielleicht als Kälteempfindung. Schon der Blick ins Zimmer kann große Ängste auslösen. Alles ist verwirrend und nicht an seinem Platz, denn es gibt keinen Platz, keine festen Tatsachen mehr, auf die man sich verlassen kann.
Der Blick aus dem Fenster: ist es Tag oder Nacht? Ist das die Sonne oder der Mond? Fern oder nah? Bewegt sich der Vorhang oder die Wand? Was tun die fremden Leute hier? Der Eine da, sieht aus wie mein böser Exmann (oder Sonstwer), dem sag ich jetzt mal die Meinung!Verkennungen, optische, situative, örtliche, zeitliche Verkennungen. Das Leben ist höchst stressig und beängstigend und alles ist verkehrt.
Dazu kommt noch, dass Gefühle und Impulse ungefiltert Macht ergreifen. So wird Ängstlichkeit schnell in ein Sich-Wehren umschlagen, schnell wird gesagt:"der ist aggressiv", dabei hat man in der Annäherung nur einen Fehler gemacht, die Regeln nicht eingehalten, Blickkontakt zB, die richtige Ansprache, Geduld. Der Vollständigkeit halber möchte ich aber auch sagen, die positiven Gefühle kommen genauso ungefiltert und sind eine große Freude für den Pflegenden und erleichtern die Sache ungemein.
Wie geht man mit jemanden mit einer demenziellen Erkrankung um? Dazu gibt es jede Menge Literatur.
Angie hat ein Beispiel von der Frau erzählt, die sich den Beutel abgerissen und den Inhalt verteilt und verspeist hat. Das ist natürlich unabhängig vom Stoma und passiert (vor allem in Heimen gar nicht so selten) genauso mit dem Inhalt von Inkontinenzmaterial, und zeigt, dass mit dieser Frau vollkommmen verkehrt umgegangen wird. Es ist weder ein Problem von Demenz, noch vom Stoma, das Problem ist, dass dieser Mensch sträflich vernachlässigt wird. Es ist ein Problem der Pflegenden.
Man darf einen Menschen in der Situation nicht sich selber überlassen. Er braucht Zuwendung, Ansprache, Halt und Führung, Zeit, Lenkung, Freundlichkeit, Verständnis, Anleitung, Sicherheit, Geduld und Zuwendung(!).
Angesichts all dessen ist eigentlich klar, was zu tun ist, wenn es um das Stoma und die Stomaversorgung geht: man versetze sich in die Lage des Betroffenen und handele danach. Einfühlungsvermögen!
Die eigene Einstellung überprüfen, welche Ängst hätte ich? Wie kann ich als Pflegende das Stoma akzeptieren?
Einbeziehen in alle Handlungen, Ernstnehmen, Sicherheit vermitteln, Geduldigsein, den Humor nicht vergessen. Die Gefühle lenken, Auswege eröffnen, spielen, beruhigen, miteinander lachen, gemeinsam die Probleme bewältigen.
Mir persönlich hat es sehr geholfen, hier zu lesen. Die Gefühle, die Ängste, die ich hier lesen konnte, haben mir geholfen mich in die Lage einzufühlen. Die technischen Probleme sehen und einschätzen und lernen alles in den Griff zu bekommen, selber sicher im Umgang zu werden, damit ich Sicherheit vermitteln kann, war sehr wichtig. Ich habe hier im Forum gelernt das Stoma zu akzeptieren und als positive Selbstverständlichkeit zu nehmen und das kann ich meiner Mutter so vermitteln. Es war mein Lernprozess. Sie hat sich noch nie den Beutel abgerissen und lebt gut mit dem Stoma.
Wir haben den Begriff "Spuckerle" von hier übernommen und reden oft und freundlich über IHN. Er "begrüßt" mich wenn er grummmelt, er redet mit, er darf, er soll sich äußern. Pannen werden entsprechend gewürdigt und zum Amüsanten hingelenkt, gemeinsam haben wir dann wieder ein Abenteuer erlebt. Jeder Beutelwechsel ist ein positives Ereignis, Zuwendung. Die Entsorgung des Abfallbeutels ist ein geliebtes Ritual, oft mit viel Gelächter verbunden.
Und die Frage, ob "das" mal wieder weggeht, auch alle anderen Fragen, beantworte ich mit nie versiegender Geduld. Ich mache Mut und Zuversicht und gebe Sicherheit. Und immer wieder setze ich meinen hier angelesenen "Profiblick" auf, begutachte das Stoma mit seinen jeweiligen Mucken oder Macken und sag dann ganz ernsthaft und beruhigend: Es ist alles in Ordnung.
Ein ganz wichtiger Satz.
von hmengers » 20.02.2009, 17:14
Hallo Henrie,
beeindruckend.
Mehr habe ich zu Deinem Posting nicht zu sagen.
Herbert
von Siskinanamok » 20.02.2009, 17:38
Wow,
ich bin sprachlos. Deine Mutter hat unendliches Glück!
Lieben Gruß
Siski
von sunny » 20.02.2009, 17:51
hallo henrie!
vielen dank für deine Ehrlichkeit und dein Interesse!
ich wies wie es ist einen Dementen zu pflegen weil selbst meine Mutter auch an Demenz leidet und erst 49 ist(und daher das ich Altenpflegerin bin!). sie hat zwar keinen Stoma aber ich weis was du meinst und kann dir vollkommen recht geben. ich kenne die Problematik und hatte auf Grund das ich die Weiterbildung mache die Idee dieses Thema zu nehme.
du hast vollkommen recht ich hab die frage falsch formuliert, klar es gibt KEINE Komplikationen die wegen dem Krankheitsbild oder dem alter entsprächen,es gibt aber doch bestimmt Besonderheiten die auftreten weil die Erkrankung da ist aber oder auch das alter.
ich möchte in meiner Facharbeit beschreiben das es bestimmt Unterschiede dazu gibt
bei Leuten zwischen 30-50 oder
eben diese Personen die älter sind und erkrankt sind
und Respekt für deine Arbeit weil ich weis das es nicht einfach ist!
Und VIELEN DANK für dein Beitrag und noch eine frage
ABER AUCH AN ALLE
DARF ICH EURE BEITRÄGE IN MEINER FACHARBEIT ÜBERNEHMEN ODER EINFÜGEN???????????????
von Siskinanamok » 20.02.2009, 18:15
Liebe sunny,
da solltest du auch deinen Prof. fragen, ob so etwas erlaubt ist und außerdem Vorsicht beim Zitieren aus dem Netz, du musst sichergehen können das der Prof die Beiträge nachprüfen kann. Deshalb immer link kopieren und Datum dazuschreiben, wie du weißt kann man seine Postings ja ändern, und wenn du dann auf etwas Stellung nimmst das nicht mehr so dasteht, könnte das schwierig werden. Gleiches gilt für andere www. seiten, die können verändert oder gar gelöscht werden.. Mach dich da lieber erstmal schlau!
Lieben Gruß
Siski
von sunny » 20.02.2009, 18:18
danke für die info!
aber es ist uns erlaubt beispiel zu nennen und das würd ich dann auch gerne tun weil es gute beträge sind!
von henrie » 20.02.2009, 20:46
Danke Herbert und Siski, das tut gut.
Sunny, du kannst mich gerne zitieren, aber bitte dann auch als Zitat deutlich machen (henrie / www.Alzheimer-Selbsthilfe-Forum.de) *werbungmach* und nicht als deinen Text ausgeben.
Natürlich kannst du aber meinen Beitrag als Anregung und Material für deine eigene Ausarbeitung hernehmen, deshalb hast du ja gefragt und, weil es mir ein großes Anliegen ist, hab ich dir so ausführlich geantwortet. Wenn also meine positive Erfahrung in deine Arbeit einfließt und vielleicht im Endeffekt Positives bewirkt, ist mir das nur recht.
Zwei kleine Anmerkungen: sag in deiner Facharbeit besser "das Stoma" und lieber nicht "der/die Demente".
Einen anderen Aspekt hab ich auch noch, die Stomaversorgung ist ja wesentlich angenehmer für die Pflegeperson, als eine doch recht häufig bei fortgeschrittener Demenz auftretende Stuhlinkontinenz.
Uupps, das sollte ich nicht sagen, so wie ich die Pflegelandschaft hierzulande kenne, gibt es zu pflegeerleichternden PEG, Dauerkatheter und Sedativa ohne Not auch noch ein Stoma verpasst. Bin ich böse? Nein, traurig und entsetzt, was alles möglich ist und auch gemacht wird. Und es ist durchaus möglich, aufgrund einer Stuhlinkontinenz zur Pflegeerleichterung ein Stoma anzulegen, koste es was es wolle. Die vorzeitige Stuhlinkontinenz kommt oftmals von mangelnder Zeit in den Heimen, niemand da um die Leute auf die Toilette zu bringen, viel einfacher ist's, ihnen "Windeln" zu verpassen. Schon eine Woche gedankenlos-kosteneinsparender Kurzzeitpflege kann einem Menschen, der mit Hilfe und Anleitung kontinent ist, unnötig jede Kontrolle über seine Ausscheidungen nehmen.
Lebensqualität? Ach was. "Die Dementen" merken das ja nicht mehr. :mad:
henrie
von Monsti » 20.02.2009, 21:08
sag in deiner Facharbeit besser "das Stoma"
von hmengers » 20.02.2009, 21:25
Hallo Sunny,
a) Ich bin hier gerne im Forum, möchte aber NICHT zitiert werden, auch nicht in einer solchen Arbeit. (Links sind etwas anderes)
b) zum Thema Pflegeerleichterung gibt es nicht nur eine Meinung. Siehe dazu z. B. "Meine Geschichte". Aber wenn Du ALLE Aspekte berücksichtigst, wirst Du Dein Examen wohl frühestens 2011/2012 abschließen können.
Herbert
von sunny » 20.02.2009, 22:07
henrie hat geschrieben:Danke Herbert und Siski, das tut gut.
Sunny, du kannst mich gerne zitieren, aber bitte dann auch als Zitat deutlich machen (henrie / www.Alzheimer-Selbsthilfe-Forum.de) *werbungmach* und nicht als deinen Text ausgeben.
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