von Webkänguru » 16.02.2017, 15:13
Der Bundestag verabschiedete heute das Heil- und Hilfsmittel-Gesetz (HHVG) und erteilt Ausschreibungen in der Stoma-Versorgung eine deutliche Abfuhr
Hier der Artikel, den wir dazu gerade eben auf Stoma-Welt.de veröffentlicht haben:
Vor gut einem Jahr legte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Karl-Josef Laumann den Entwurf des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) vor. Trotz der durch Ausschreibungen verursachten menschenunwürdigen Zustände in der Inkontinenz-Versorgung, die in den Monaten zuvor durch die Presse gingen, hielt der Gesetzentwurf an Ausschreibungen fest. Erst auf der Zielgeraden, nur einen Tag vor Verabschiedung im Bundestag, wurde die entscheidende Passage im Gesetz gestrichen. Ein großer Erfolg für alle, die sich gegen die Ausschreibungen eingesetzt haben.
Gestern morgen erreichte uns ein Tweet von Maria Klein-Schmeik, Gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis80/Die Grünen um Bundestag:Gesundheitsausschuss heute mit Heil- & Hilfsmittelgesetz. Überfällig.Druck hat gewirkt: Ausschreibung sensibler #Hilfsmitteln ausgeschlossen
Was steckt dahinter? Der Gesetzentwurf zum HHVG sah vor, in allen Bereichen der Hilfsmittelversorgung Ausschreibungen zuzulassen. Bei einer Ausschreibung vergibt die Krankenkasse einen Versorgungsauftrag exklusiv an den Partner, der die Versorgung zum niedrigsten Preis anbietet.
Wie das genau funktioniert hat die KKH gerade in der ersten Ausschreibung für Stomaträger vorgemacht. Die Krankenkasse konnte die monatliche Pauschale für die Stomaversorgung ihrer Versicherten teilweise deutlich reduzieren. Auf der anderen Seite verlieren die Stomaträger ihr Wahlrecht und bekommen vorgeschrieben, wer sie betreut und von wem sie ihre Stomabeutel beziehen müssen. Die Befürchtung war groß, dass sich mit den niedrigeren Pauschalen auch die Qualität der Versorgung deutlich verschlechtert. So wie wir es in der Inkontinenz-Versorgung bereits seit Jahren erleben.
Die Mitglieder des Gesundheitsausschuss des Bundestags konnten sich erst zu ihrer Sitzung gestern morgen dazu durchringen, mit dem HHVG den entscheidenden Satz in §127 Absatz 1 SGB V zu ändern: "Für [...] Versorgungen mit hohem Dienstleistungsanteil sind Ausschreibungen in der Regel nicht zweckmäßig."
Welche Versorgungen das genau sind, wurde bereits 2009 in einer gemeinsamen Empfehlung vom GKV-Spitzenverband benannt. Darin genannt sind Hilfsmittel-Versorgungen mit einem hohen Dienstleistungsanteil wie einer intensiven persönlichen Anleitung in der Benutzung der Hilfsmittel oder einer patientennahen Versorgung mit kurzer Reaktionszeit. All das ist bei der Stoma-Versorgung der Fall. Hilfsmittel zur Stomaversorgung sind eben keine Ware von der Stange, in die man höchstens noch mit Hilfe einer Schablone ein Loch hinein schneiden muss.
Trotzdem, durch die drei Worte "in der Regel" konnten faktisch in allen Hilfsmittel-Bereichen Ausschreibungen durchgeführt werden. Damit ist jetzt Schluss, die entscheidenden drei Worte sind aus dem Gesetzt gestrichen. Martina Stamm-Fibich von der SPD und Mitglied im Gesundheitsausschuss, kommentierte diese Entscheidung heute im Bundestag so:Das Gesetz regelt jetzt wichtige Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung in der Hilfsmittelversorgung [...] Besonders hervorzuheben ist, das individuell angefertigte Hilfsmittel und Hilfsmittel mit einem sehr hohen Dienstleistungsanteil künftig nicht mehr von den Krankenkassen ausgeschrieben werden dürfen. Menschen mit einem künstlichen Darmausgang und andere Patienten, die Hilfsmittel mit einem hohen Dienstleistungsanteil benötigen, dürfen nicht durch Ausschreibungen mit ständig wechselnden Produkten oder Leistungserbringern konfrontiert werden. Betroffene brauchen in hoch-sensiblen Situationen vertrauensvolle und verlässliche Hilfe.
Mit der heutigen Abstimmung im Bundestag ist das HHVG beschlossen und soll in vielen Teilen bereits im März in Kraft treten.
von pia » 17.02.2017, 13:49
Vielen Dank für die tolle Information, mir persönlich und wohl auch vielen anderen betroffenen Menschen fällt ein Stein vom Herzen.
Danke schön und liebe Grüße
Pia
von pia » 17.02.2017, 14:51
Hallo,
eine Frage ,ist mit dem Gesetz auch die Mengen Empfehlung des MDK vom Tisch ?
Sorry ,wenn ich etwas falsch verstanden habe .
Lg
Pia
von Webkänguru » 17.02.2017, 15:08
Hallo Pia,
nein, die Mengenempfehlung des MDK hat damit nichts zu tun, sie gilt nach wie vor. Maßgeblich ist aber nicht die Empfehlung des MDK (denn sie ist ja nur eine Empfehlung), sondern immer der tatsächlich notwendige Hilfsmittel-Bedarf.
Wenn jemand behauptet, mehr als das was der MDK vorgibt bekommst du nicht, dann ist das Unsinn.
Viele Grüße,
Christian
von Hanna70 » 17.02.2017, 17:45
Grundsätzlich ist das neue Gesetz für die meisten Betroffenen sicher ein Erfolg.
Doch ich sehe auch hier ein ganz großes ABER!!!
Was wird aus den Patienten, bei denen von vornherein feststeht, dass sie aus medizinischen Gründen einen Mehrbedarf benötigen? Welcher gewinnorientierte Versorger wird sich diese als Kunden an Land ziehen?
Meine vom Arzt begründete monatliche Inko-Versorgung kostet z.B. rund 75 €, die KK zahlt aber nur eine Pauschale von 16,66 €. Wobei mein Bedarf innerhalb des vom MDK empfohlenen Richtwertes liegt und damit nicht einmal unter den Begriff "Mehrbedarf" fällt.
Darf der Leistungserbringer meine Belieferung deshalb ablehnen?
Trotz der ärztlichen Verordnung erhalte ich seitens der KK keinerlei Unterstützung, wie es eigentlich die Aufgabe der KK ist. Die mauert und verweist wieder an den Versorger bzw. schickt mir eine Liste mit 2 400 Anbietern, aus denen ich mir jemanden aussuchen sollte.
Meine Dauerverordnung läuft noch zwei Monate, was wird danach????
LG Rosi
von Webkänguru » 18.02.2017, 23:45
Hallo Rosi,
ja, ich teile deine Bedenken, aber auch hier soll das neue Gesetz die Situation verbessern:
von Hanna70 » 19.02.2017, 00:09
Hallo Christian,
Danke für Deine ausführliche Antwort. Da das Inko-Problem hier ja nicht so sehr viele betrifft, möchte ich diesen öffentlichen Thread auch nicht weiter ausdehnen. Aber meine grundsätzliche Fragestellung könnte ja evtl. auch für Stomatpatienten mit höherem Mehrbedarf interessant sein.
Eigentlich möchte ich weder den Versorger noch die KK wechseln, sondern die Sache durchstehen und ein-für allemal klären, auch wenn es zur Zeit eher danach aussieht
LG Rosi
von doro » 19.02.2017, 10:02
Es ist interessant zu lesen,was passieren kann aber nicht passieren sollte,denn das was bei Rosi mit der Krankenkasse und dem Versorger passiert,kann uns alle treffen.
Bei der DAK gibt es ( Vorlage für Herren) derzeit nur einen Versorger.
von Ele1 » 19.02.2017, 11:11
Hallo,
Ist ja interessant zu lesen, aber die Wirklichkeit ????
Ich muss mich seit 6 Jahren 6x täglich Kathetern und war bisher bei einem Rehahaus in unserer Nähe.
Auch die Versorgung durch die Verantwortliche war super.
Bester kam Post von der TK in der steht, dass die eine Ausschreibung für ableitende Systeme gelandet habe( also noch kurz davor - und das ist auch ein sensibles System) und ich jetzt den Versorger vorgeschrieben bekommen habe.
Es gibt auch keine Ausnahmen, wenn ich das weiterhin brauch muss ich mich fügen.
Auch ein Dauerrezept, erstellt bis 2025, ist nicht mehr gültig. Ich muss ein Neues besorgen.
Ich würde gern bei meinem bisherigen Versorger bleiben, aber das wurde von der Kasse abgelehnt.
Das ist die Realität.
Schönes Wochenende wünscht Gabi
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