von Morbus Hirschsprung » 01.04.2013, 14:38
Mehrbedarf - Kostenaufwendige Ernährung - (§ 21 Abs. 5 SGB II) bei Vorliegen und unter Berücksichtigung der Krankheit: MORBUS HIRSCHSPRUNG - Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 26. März 2013, Az.: S 47 AS 310/13 ER
SOZIALGERICHT HANNOVER
Az.: S 47 AS 310/13 ER
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
(. . .),
Antragsteller,
gegen
JobCenter Region Hannover, Lange Laube 32, 30159 Hannover,
Antragsgegner,
hat das Sozialgericht Hannover - 47. Kammer - am 26. März 2013 durch die Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht Kramer, beschlossen:
1. Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes vorbehaltlich der Rückforderung verpflichtet,
dem Antragsteller in der Zeit vom 01. Februar 2013 bis 31. Juli 2013 einen Mehrbedarffür kostenaufwendiqe Ernährung im
Sinne des § 21 Abs. 5 SGB 11 in Höhe von 20 vom Hundert des
maßgeblichen Regelbedarfs - unter Anrechnung bisher
erhaltener Beträge - zu gewähren.
2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung abgewiesen.
3. Der Antragsgegner trägt 50 vom Hundert der Kosten des
Antragstellers. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Der zulässige Antrag ist in der Sache in tenoriertem Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Gern. § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint. Maßgeblich sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im
Zeitpunkt der Eilentscheidung. Wesentliche Nachteile in vorgenanntem Sinne bedeutet
eine "Notlage", die eine Eilentscheidung unumgänglich macht.
I.
Mit seinem am 27. Januar 2013 eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung begehrt der Antragsteller einen höheren Mehrbedarf für kostenaufwendige
Ernährung ab 01. Februar 2013. Mit angefochtenem Bescheid vom 14. Januar 2013
bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller in dem Bewilligungsabschnitt von Februar
bis Juli 2013 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Höhe von
441,09 Euro monatlich, wobei ein Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe
von 38,20 Euro (10 vom Hundert des Regelbedarfs) berücksichtigt wurde. Der am xx.
xx. 19xx geborene Antragsteller leidet seit 19xx unter einem Morbus Hirschsprung/
Mega Colon, einhergehend mit gravierenden chronischen abdominellen Beschwerden
und erheblichen Zustandsverschlechterungen. Auf die ärztliche Bescheinigung
des Internist Dr. N. vom 14. Januar 2013 sowie das Attest des Internisten
Dr. N. vom 05. März 2013 wird Bezug genommen. Hauptbeschwerden sind regelmäßig
episodisch auftretende Schmerzen und Durchfallepisoden. Nach Auffassung
des Dr. N. habe der Antragsteller Schwierigkeiten, sein Gewicht zu halten. Es
bestehe eine Mangelernährung sowie die Notwendigkeit, hochkalorische Nahrungsergänzungsmittel
einzunehmen. Es sei in letzter Zeit eine Verschlechterung der Gesamtsituation
zu konstatieren.
Dem gegenüber vertritt der Antragsteller die Auffassung, dass im Falle des Antragstellers
eine Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst unabwendbar sei. Bisher habe der
Antragsteller einer Begutachtung nicht zugestimmt und den von dem Antragsgegner
vorgegebenen Gesundheitsfragebogen nicht vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 25. März 2013 hat der Antragsteller einer Übermittlung von Gesundheitsfakten
unter Einschränkungen grundsätzlich zugestimmt.
II.
Der Antragsteller kann sich unter Zurückstellung rechtlicher Bedenken bezüglich der
Zulässigkeit des Antrags - wie von dem Antragsgegner zutreffend vorgetragen - sowohl
auf einen Anordnungsanspruch als auch auf einen Anordnungsgrund berufen.
Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwendigen
Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt (§ 21 Abs.
5 SGB 11).Der Mehrbedarf wird gewährt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige aus
medizinisch indizierten Gründen einer besonderen Ernährungsweise bedarf, deren
Kosten aus dem in der Regelleistung enthaltenen Anteil für Ernährung nicht vollständig
gedeckt werden kann. Wie sich aus den Bescheinigungen des Dr. N. ergibt, sind
die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs aus medizinischen Gründen
zu bejahen. Zu Recht weist der Antragsgegner darauf hin, dass die Vorlage eines
Attestes zum Nachweis einer entsprechenden Erkrankung, die aus Sicht des Arztes
einen Mehrbedarf auslöst, grundsätzlich nicht anspruchsbegründend ist. Der Antragsgegner
hat zutreffend darauf hingewiesen, dass im Verwaltungsverfahren zumutbare
Mitwirkungshandlungen des Antragstellers bestehen. Eine Begutachtung durch den
Ärztlichen Dienst des Antragsgegners ist zumutbar. Dies ergibt sich aus §§ 61 und 62
SGB I, wonach wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, auf Verlangen des zuständigen
Leistungsträgers zur mündlichen Erörterung des Antrages oder zur Vornahme
anderer für die Entscheidung über die Leistung notwendiger Maßnahmen persönlich
erscheinen soll. Darüber hinaus hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, sich
auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen
zu unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die
Leistung erforderlich sind. Da zwischen den Beteiligten ausschließlich die Höhe des zu
bewilligenden Mehrbedarfs streitbefangen ist, ist ausnahmsweise vom Begutachtungserfordernis
für die Dauer des laufenden Bewilligungsabschnittes im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren abzusehen und eine summarische Prüfung zur Höhe unter Zugrundelegung
der Einschätzung des Dr. N. vorzunehmen.
Nach Auffassung der Kammer ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorläufig von
einem Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung in Höhe von 20 vom Hundert
des Regelbedarfs auszugehen.
Wie die anspruchsbegründende Kausalität zwischen
Erkrankung und besonderem Ernährungsbedarf ist auch die "angemessene Höhe" des
hierauf begründeten Mehrbedarfs zu ermitteln. Hierbei können die Instanzgerichte die
"Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der
Sozialhilfe" (3. neu bearbeitete Auflage 2008) zur Konkretisierung des angemessenen
Mehrbedarfs im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB 11heranziehen (vgl. BSG, Urteil vom 27.
Februar 2008 -B 14/ 7 b AS 64/06 R = juris). Nach Ziffer 5 Buchstabe d) der vorgenannten
Empfehlungen beträgt der Regelwert für Krankenkostzulagen bei Zöliaki,
Sprue 20 vom Hundert des Eckregelsatzes. Diesen Wert hat die Kammer im Rahmen
des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens angenommen. Ob ein höherer Mehrbedarf
sachgerecht ist, wird sich erst nach Vorlage des Gesundheitsfragebogens und anschließender
Begutachtung des Antragstellers durch den Ärztlichen Dienst verifizieren
lassen. Denn eine Entscheidung über einen Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger
Ernährung setzt konkrete Feststellungen in medizinischer und ernährungswissenschaftlicher
Hinsicht voraus, um beurteilen zu können, inwieweit Krankheitsbedingte
Mehrkosten tatsächlich entstehen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar
2011 -B 14 AS 49/10 R= juris).
Da Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende Existenz sichernd sind, ist
auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, die Dringlichkeit für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung gegeben.
Dem Antrag ist demgemäß mit der auf einer entsprechenden Anwendung von § 193
Abs. 1 Satz 1 SGG beruhenden Kostengrundentscheidung zum Teil statt zu geben, im
Übrigen abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus einer entsprechenden
Anwendung vom § 183 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG).
Kramer
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