von Webkänguru » 14.08.2007, 13:22
Hallo,
in der Vergangenheit haben wir ab und zu über die Geschichte des Stoma diskutiert und auch einige Informationen zusammen getragen. Im ForLife-Kurier, ist eine Serie von Artikeln zur Geschichte des Stoma erschienen, die ich freundlicherweise hier im Stoma-Forum veröffentlichen darf.
Nachfolgend findet ihr die ersten beiden Artikel der Serie.
Viele Grüße,
euer Webkänguru
von Webkänguru » 14.08.2007, 13:26
Keine griechische Sage
Schon in der Antike gab es Ansätze von Stomaoperationen.
Wenn es um die Geschichte des Stomas geht, taucht häufiger der Name Praxagoras auf – und die schier unglaubliche Jahreszahl 350 vor Christus. Ist das Wahrheit oder Legende? Tatsächlich war Praxagoras ein berühmter Arzt in der Antike. Sein Name ist verbunden mit der Entwicklungsgeschichte der gesamten Medizin. Er gehörte zur „Schule von Kos“, einer der bedeutenden Medizinschulen des antiken Griechenlands. Sie war eine Generation zuvor auf der Insel Kos (vor der Südwestküste der heutigen Türkei) gegründet worden – vom großen Arzt Hippokrates. An ihn erinnert noch heute der „Hippokratische Eid“ der Ärzte.
Das besondere Verdienst der Mediziner in dieser Zeit lag auf dem Gebiet der Systematisierung und der wissenschaftlichen Aufzeichnung. Viele Methoden zur Diagnose und zur Prognose wurden erdacht. Ebenso entwickelten die antiken Ärzte zahlreiche Therapieformen wie Medikamente, Diäten, oder eben auch chirurgische Eingriffe.
Schriftlich ist überliefert, daß Praxagoras im Jahr 350 v. Chr. einem Patienten mit einem schweren Darmverschluß, einer „inkarzerierten Hernie“, einen künstlichen Darmausgang angelegt hat. Er legte operativ den Bruch im eingeklemmten Darm frei und entfernte den Stuhl seines Patienten durch eine künstlich geschaffene Öffnung. Danach vernähte er die Wunden wieder. Auch bei Darmverletzungen soll er solche künstlichen Darmausgänge angelegt haben. Wie lange seine Patienten nach der Operation noch gelebt haben, ist nicht überliefert. Das blieb leider abhängig von spontanen Selbstheilungen. Es gab durchaus auch in der Nachfolgezeit Ärzte, die solche Operationen durchführten – selten und fast nur bei Darmverschlüssen und Darmverletzungen.
Daß der Name von Praxagoras heute immer noch in der Geschichte der Medizin erwähnt wird, liegt übrigens weniger an seiner Pionierarbeit zur Darmverschlußbehandlung. Praxagoras war der erste, der unsere Blutbahnen in Arterien und Venen unterschied, und er erfand das Pulsfühlen zur ärztlichen Diagnose. Er entwickelte allerdings auch abenteuerliche Theorien, die schon von seinen Schülern angezweifelt wurden. Praxagoras war ganz ohne Frage ein fortschrittlicher Geist seiner Zeit – aber eben auch nur ein Kind seiner Zeit.
Das medizinische Wissen dieser Epoche unserer abendländischen Zivilisation wurde nach dem Zerfall der griechisch/römischen Kultur nur sehr langsam weiterentwikkelt. Nach der Teilung des Römischen Reiches im Jahr 395 n. Chr. stagnierte für rund ein Jahrtausend der medizinische Fortschritt. Erst im Zeitalter der Renaissance vom 14. bis 16. Jahrhundert begann man, Künste und Wissenschaften der Antike wiederzuentdecken und weiterzuentwickeln. Vom berühmten Arzt Paracelsus wissen wir aus dieser Zeit zumindest, daß er über künstlich angelegte Darmausgänge in der Theorie nachgedacht hat. Aber praktische Umsetzung und wirkliche medizinische Forschritte gab es dann erst noch viel später. Wie zu den meisten medizinischen Großleistungen, von denen wir heute profitieren, kommt es auch zur Anlage eines Stomas als wirklich lebensrettende und -verlängernde Operation erst in den folgenden Blütezeiten der Medizin. Sie liegen im 18. und natürlich im 20. Jahrhundert. Seit diesem Jahrhundert geht es im immer größeren Maße auch um die Lebensqualität der Stomaträger.
Quelle:
„For Life Kurier“, 1/2007
„For Life Kurier“ ist eine kostenlose Kundenzeitschrift von der FOR LIFE GmbH
Herausgeber: K.-Thomas Brie
Redaktion: Andreas Maydorn
Autor der Artikel: Andreas Maydorn
Grafik: grafikstudio heutger, Zeudenroda
von Webkänguru » 14.08.2007, 13:30
Französische Revolutionen
Erfolg und Mißerfolg bei Stomaanlagen im Zeitalter der Aufklärung.
Der Mediziner Alexis Littré (1658 – 1726) war ein berühmter Anatom und Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften, als er in Paris das unausweichliche Sterben eines Neugeborenen mit fehlendem Darmausgang miterleben mußte. Seine nachfolgenden Überlegungen, bei einer solchen Analatresie einen Darmausgang künstlich anzulegen, veröffentlichte er im Jahr 1710. Doch diese kühnen Gedanken in seinem Traktat „Diverse observations anatomiques“ stießen auf erheblichen Widerstand in der Pariser Akademie.
Chirurgische Eingriffe wurden seit Jahrhunderten mit äußerstem Mißtrauen beäugt. Das IV. Laterankonzil von 1215 hatte die Chirurgie von der übrigen Medizin getrennt. Diese allerhöchste kirchliche Versammlung entschied, daß kein Christ für andere lebensgefährliche operative Eingriffe vornehmen durfte. Chirurgie wurde deshalb nicht an den – zunächst ja nur kirchlichen – Ausbildungsstätten gelehrt. Nur relativ einfache Eingriffe wurden über Jahrhunderte vom Handwerk, z.B. dem Bader und dem Bruchschneider, vorgenommen.
Zwar hatte man sich im vergangenen 16. und 17. Jahrhundert schon befreit, nur das medizinische Wissen der wiederentdeckten Antike als unumstößliche Autorität zu betrachten. Neue eigene Erkenntnisse und methodisch- wissenschaftliche Untersuchungen wurden trotz erheblicher Widerstände gemacht. Besonders auf dem Gebiet der Anatomie gab es neue Erkenntnisse. Doch in der Chirurgie mangelte es noch erheblich an verläßlichen Theorien und Methoden. Erst jetzt im 18. Jahrhundert konnte sich die Chirurgie emanzipieren und wurde an den Universitäten gelehrt.
Die neue Zeit hatte der Wissenschaft die Tore geöffnet, aber leider auch einer ganzen Reihe von medizinischen Wirrköpfen mit obskuren Theorien. Littré gehörte nicht zu diesen Spinnern. Seine Erkenntnisse über eine bestimmte Form des Darmwandbruchs trägt nicht umsonst noch heute seinen Namen: die Littré-Hernie.
Doch erst 50 Jahre nach seinem Tod wagte sich ein anderer Mediziner an die tatsächliche Ausführung seiner Überlegungen: 1776 legte der französische Arzt Pillore als erster ein Stoma an (Zäkostomie) bei einem Patienten mit einem Rektumkarzinom. Diese Operation verlief gut, doch der Patient verstarb vier Wochen später durch die Unmenge des hochgiftigen Quecksilbers, das ein zuvor erfolglos behandelnder Arzt als Abführmittel und Therapie eingesetzt hatte. Pillore dagegen war alles andere als ein Quacksalber. Er war einer der ersten Mediziner, die ihre Beobachtungen über Wucherungen des Darms niederschrieben – sehr wahrscheinlich handelte es sich dabei um Kolonkarzinome.
Nach einer weiteren mißlungenen Operation im Jahr 1783 gelang dem französischen Arzt Duret 1793 der entscheidende Durchbruch: Diese erfolgreiche Operation eines drei Tage alten Kindes, das mit einer Analatresie zur Welt kam, kann als die erste erfolgreiche Kolostomie bewertet werden. Das Leben des Patienten war gerettet, und er wurde 45 Jahre alt.
Die Medizin als eigenständige Wissenschaft und mit ihr die Chirurgie hat in der Zeit der Aufklärung entscheidende Fortschritte gemacht: Es waren die ersten Erfolge, schwerwiegende Erkrankungen des Verdauungssystems sowohl zu erkennen als auch operativ zu behandeln.
Quelle:
„For Life Kurier“, 2/2007
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Redaktion: Andreas Maydorn
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von Webkänguru » 12.01.2008, 20:36
Triumphe in der Gründerzeit
Das 19. Jahrhundert bringt den Durchbruch bei Stomaoperationen.
Mit den ersten Anlagen von künstlichen Darmausgängen Ende des 18. Jahrhunderts schien es, als sei gegen Darmverschluß (Ileus) und das angeborene Fehlen eines Darmausgangs (Analatresie) eine Operationsmöglichkeit gefunden. Doch nur sehr wenige Ärzte waren in der Lage und hatten auch den Mut, diese Operationen durchzuführen. Als der große französische Arzt Jean Zuléma Amussat (1796 – 1856) im Jahr 1839 eine Aufzeichnung der bisher erfolgten Operationen anlegte, kam er – selbst nach den Maßstäben seiner Zeit gemessen – zu einer erschütternden Bilanz: Von den 29 bisherigen Patienten, denen ein künstlicher Darmausgang angelegt worden war, hatten nur neun Patienten überlebt.
Amussat stellte auch fest, daß alle an einer Peritonitis verstorben waren, der Entzündung des Bauchfells. Aus heutiger Sicht wissen wir, daß krankheitserregende Keime in diesen empfindlichen Bereich des Körpers gelangt waren. Zu dieser Zeit jedoch wurden bei Infektionen eine schlechte gesundheitliche Verfassung oder obskure Ausdünstungen der Umwelt (sog. „Miasmen“) als Ursache angesehen.
Zur Vermeidung von Bauchfellentzündungen legte Amussat bei Operationen das Stoma im linken Lendenbereich an („lumbal“). Doch die Sterblichkeitsrate der Patienten blieb enorm hoch. Die chirurgischen Kapazitäten dieser Zeit suchten nach einer besseren Operationstechnik und nach der richtigen Körperstelle für die Anlage von künstlichen Darmausgängen. Dieser Disput endete, als in ganz anderen Bereichen der Medizin entscheidende Fortschritte gemacht wurden.
Bahnbrechend für den gesamten weiteren Verlauf der Geschichte der Medizin waren die Entdeckungen von Krankheitserregern und die Erfindung der Desinfektion. Der ungarisch-österreichische Arzt Ignaz Philipp Semmelweis (1818 – 1865) erkannte als erster die Ursache des Wochenbettfiebers, das viele Frauen auf der Wöchnerinnenstation dahinraffte. Die Untersuchungen der Gebärenden wurden an dem Wiener Krankenhaus von Medizinern oder auch Studenten ausgeführt, die zuvor Leichen seziert hatten. So wurden hochgefährliche Keime auf die Frauen übertragen. Semmelweis führte 1847 bei Operationen die Waschung u.a. der Hände in desinfizierenden Mitteln ein. Seine Erkenntnisse wurden ihm von den zeitgenössischen Medizinern nicht gedankt, er wurde auf das schärfste angefeindet und starb unter nicht ganz eindeutigen Umständen in einem psychiatrischen Krankenhaus. Erst die Nachwelt zollte ihm die gehörigen Anerkennung als ein Wegbereiter der Desinfektion. Als solcher gilt auch der englische Arzt Joseph Lister (1827 – 1912), der in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts die keimtötende Wirkung von Karbolsäure entdeckte. Nach und nach wurden weitere Desinfektionsmittel erkannt. Diese antiseptischen (aus dem Griechischen: „gegen die Fäulnis“) Maßnahmen haben das Ziel, der Aseptik, der Keimfreiheit, möglichst nahe zu kommen. Dadurch und auch durch die Erfindungen von Schmerzbehandlung und Narkose in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde es auch erstmals möglich, komplizierte Operationen erfolgreich durchzuführen.
So gelang es 1884 dem bedeutenden österreichischen Chirurg Carel Maydl das erste doppelläufige Kolostoma mit Reiter (einem Gänsekiel) anzulegen, um so das Zurückziehen der Darmschlinge in den Körper zu verhindern. Seine 1888 in Wien veröffentlichte Methode wird in dieser Art noch heute angewendet. Auch erfand Maydl die künstliche Harnableitung in das Rektum oder den Sigmadarm bei Spaltblasen – heute noch als Maydl-Operation bekannt. In dieser Zeit der Jahrhundertwende wurde vieles entdeckt. Nicht zuletzt gelangte man auch zu entscheidenden Erkenntnissen über Darmkrebs, dem heute häufigsten Grund für die Anlage eines Stomas.
Quelle:
„For Life Kurier“, 3/2007
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Redaktion: Andreas Maydorn
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von Webkänguru » 12.01.2008, 20:38
Viel Dunkel, aber auch viel Licht
Das Stoma und seine Versorgung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Dank des unglaublich großen Fortschritts der Medizin im 19. Jahrhundert konnte immer mehr Menschen durch einen künstlichen Darmausgang ihr akut gefährdetes Leben verlängert werden. Mit der wachsenden Zahl erfolgreicher Stomaoperationen stellten sich aber auch immer häufiger soziale Fragen: Wie lebt es sich mit einem Stoma in der Gesellschaft? Wie kann man bei einem künstlichen Darmausgang eine Kontrolle über die Stuhlausscheidungen erreichen?
Schon seit den ersten erfolgreichen Stomaoperationen am Ende des 18. Jahrhundert wurden zur Versorgung von Stomaträgern Klistiere und Einläufe eingesetzt. Duret, der französische Pionier der Stomaoperationen, empfahl sie genauso wie seine theoretisierenden Vorreiter. Gleichzeitig wurden Binden oder Gürtel verwendet, die zum Teil mit Auffanggefäßen aus Metall versehen waren. Daran änderte sich prinzipiell auch im 19. Jahrhundert kaum etwas. Die Pelotten-Versorgungen, die mit Andruck über dem Stoma getragen wurden, blieben stark verbesserungswürdig. Es gab immer Verschmutzungen und üblen Geruch, sehr häufig kam es aber außerdem zu lebensgefährlichen Durchblutungsstörungen durch einen viel zu festen, ständigen Druck.
Anfang des 20. Jahrhunderts blieben Klistiere weiterhin empfohlen. Ergänzend sollte eine spezielle Diät Stomaträgern helfen, eine gewisse Kontrolle über die Stuhlausscheidungen zu gewinnen. Das klingt jedoch harmloser, als es für die Betroffenen war: Im Extremfall wurde durch ausgesuchte Nahrung eine dauernde Verstopfung herbeigeführt, die erst wieder durch Einläufe gezielt aufgelöst und so „kontrolliert“ ausgeschieden werden konnte.
Aber auch die Irrigation an sich durch Klistier oder Einlauf war keineswegs unumstritten. Immer wieder kam es zu Verletzungen des Stomas und des Darmes, da die Darmrohre der Klistierspritzen und der Einlaufapparate zu starr und fest waren. Befürworter und Gegner dieser Irrigationen gab es stets und überall in der Welt. Selbst heute ist die Irrigation trotz mittlerweile hervorragender Apparate in manchen Ländern nur wenig verbreitet.
Dagegen gab es im Verlauf des ganzen 20. Jahrhunderts immer wieder erfolglose Versuche, ein Stoma durch mechanische Gerätschaften zu verschließen. Rückblickend ist es immer leicht, dies als abwegig oder bizarr zu beurteilen. Seinerzeit waren an diese Erfindungen stets große Hoffnungen geknüpft. So wurde 1904 in Deutschland eine Art Stöpselverschluß für das Stoma erfunden, bestehend aus zwei Gummibällen. Der eine kleinere Ball wurde ins Stoma eingeführt und dann etwas aufgepumpt. Zusammen mit dem zweiten äußerem Ball sollte das Stoma so nach außen durch Druck und Gegendruck abgedichtet sein. Mehr oder doch eher weniger erfolgreich verschwand dieser Gummiballverschluß bald wieder.
Indes wurden in den 20er Jahren auch die ersten Stomata im Dünndarmbereich angelegt. Was bisher „nur“ eine Frage der Hygiene war, stellte jetzt ein entscheidendes Problem dar, für das eine Lösung gefunden werden mußte: Der Träger eines Ileostomas mußte vor seinen hochaggressiven, dünnflüssigen Stuhlausscheidungen geschützt werden. Hier nutzten keine Klistiere mehr, und die bisherigen Binden und Gürtel mit Pelotten oder Gefäßen waren überhaupt nicht mehr ausreichend.
Ein Meilenstein für die Entwicklung von Stomaversorgungen war im Jahre 1935 die Erfindung eines sozusagen „ersten zweiteiligen Versorgungssystems“ von König und Rützen. Es wurde für Träger eines Ileostomas erfunden, dann aber auch bei Trägern eines Kolostomas eingesetzt. An einem Gummibauchgurt befand sich ein aufgesteckter Gummibeutel, der zur Aufnahme der Stuhlausscheidungen diente. Dieser Gummibeutel war kein Verbrauchsprodukt wie heutige Beutel, sondern mußte entleert, ausgewaschen und wiederverwendet werden. Absolut dicht schloß das ganze System nicht ab, die Geruchsbelästigung muß sehr groß gewesen sein. Gummi ist auch dazu ein Material, das sich mit der Zeit ändert, spröde und damit undicht wird. Trotzdem war diese erste Gummiversorgung erfolgreich und wies – wie wir heute erkennen können – in die richtige Richtung.
Hinterher ist man halt immer schlauer.
Quelle:
„For Life Kurier“, 4/2007
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Autor der Artikel: Andreas Maydorn
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von Webkänguru » 19.05.2009, 09:52
Ärzte und Krankenschwestern mit Weitblick
Fundamentale Fortschritte rund um das Stoma in den 50er Jahren.
Seit in den 20er Jahren Stomata auch am Dünndarm erfolgreich angelegt wurden, gab es bei diesen weitaus häufiger Komplikationen als bei den am Dickdarm angelegten. Eine gravierende Ursache dafür ist der flüssige und hochaggressive Dünndarm-Stuhl. Die durch ihn häufig entzündete Haut am Ileostoma vernarbt immer mehr. Das führt letztlich zu Stenosen, schwerwiegenden Verengungen des Stomas. Sehr oft mußte deshalb einem Ileostomaträger das Stoma neu angelegt werden – auch zum wiederholten Male. Dies veränderte sich 1952 mit der entscheidenden Erneuerung durch Bryan N. Brooke vom englischen Birmingham City Hospital. Zwar wurden bisher Ileostomata oft schon prominent, d.h. über Körperniveau vorstehend, angelegt. Doch diese langen Zapfen waren äußerlich geschaffen aus normaler empfindlicher Haut. Ganz im Gegensatz zu dieser läßt sich aber die Darmschleimhaut von Natur aus nicht von dem ätzenden Darminhalt angreifen. Brookes geniale Idee war nun, das prominente Ileostoma auch an der Außenseite aus Darmschleimhaut anzulegen! Dazu stülpte er das Dünndarm-Ende „einfach“ über den Zapfen des stützenden Körpergewebes nach außen um und fixierte es an der Bauchdecke. Diese zwei bis drei Zentimeter langen Ileostoma waren jetzt äußerlich viel besser geschützt, und es kam zu entscheidend weniger Komplikationen. Auch heute noch werden Ileostomien nach der „Brookeschen Methode“ angelegt.
Eine geniale Idee hatte auch die dänische Krankenschwester Elise Sørensen. Aus ihrer Pflegetätigkeit wußte sie, wie unzureichend alle zu dieser Zeit gebräuchlichen Versorgungen waren. Sie boten nur wenig Schutz, mußten aber stets entleert und gesäubert werden. Häufig waren sie auch noch undicht, und ständig ließen sie Geruch nach außen dringen. Stomaträger waren so nicht nur körperlich und seelisch schwer belastet, ihr soziales Leben war extrem eingeschränkt. Als ihrer jüngeren Schwester 1954 nach der Diagnose Darmkrebs ein Kolostoma gelegt wurde, begann Elise Sørensen ihre Experimente – an einer neuen Art der Versorgung, die ihrer Schwester und allen anderen Stomaträgern ein großes Stück Lebensqualität und Teilnahme am sozialen Leben sichern sollte. Sie erfand den rundherum dichten Versorgungsbeutel, so wie wir ihn heute kennen: ein unauffälliges zuverlässiges Wegwerf-Produkt, das mit seiner Öffnung an die Haut rund um das Stoma geklebt wird.
1954 meldete sie ihre Erfindung als Patent an und suchte danach längere Zeit vergeblich einen Hersteller für ihren brillanten Entwurf. Auch der Fabrikant Aage Louis- Hansen war zunächst nicht dafür zu gewinnen. Doch in seiner Ehefrau Johanne, die auch Krankenschwester war und die Bedeutung dieser grandiosen Erfindung erkannte, hatte Elise Sørensen eine starke Fürsprecherin. Und die Firma, die bisher normale Kunststofftüten hergestellt hatte, produzierte 1955 ihre erste kleine Auflage von Stomabeuteln, die eine unglaubliche Resonanz in der Fachwelt fand. Mit diesem internationalen Erfolgsprodukt wurde aus der dänischen Firma dann 1957 Coloplast®, der erste Hersteller von modernen Stomaprodukten. Diese ersten Kolostomie-Versorgungen hatten noch eine Haftfläche mit Zinkoxidkleber. Er wurde schon seit langem bei Verbandsmaterial wie z.B. Leukoplast angewendet: Einem haftfähigen Bindemittel wie Kautschuk wird das weiße Zinkoxid zugesetzt als entzündungshemmender Wirkstoff.
Zukunftsweisende Ideen hatte auch der Arzt Rupert B. Turnbull an der Cleveland Clinic in den USA. Nicht nur daß er 1954 die Brooke- Methode noch einmal differenzierte und seine neben dieser als Turnbull-Methode auch heute noch für die Anlage von Ileostomien maßgeblich ist. Er erkannte auch, wie wichtig eine adäquate medizinisch-pflegerische Betreuung von Menschen mit Stoma ist. Dies geschah, als er erfuhr, daß eine frühere Patientin, die Krankenschwester Norma Gill, der er ein Ileostoma angelegt hatte, andere Stomapatienten in ihrer Heimatstadt in Ohio betreute. 1958 erhielt Norma Gill an der Cleveland Clinic die erste Anstellung in einem neu geschaffenen Beruf: Stomatherapeut.
Quelle:
„For Life Kurier“, 1/2008
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Redaktion: Andreas Maydorn
Autor der Artikel: Andreas Maydorn
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von Webkänguru » 19.05.2009, 09:53
Im Mittelpunkt: der Mensch
Neue Hilfen für ein Leben mit Stoma in den 60er Jahren.
Die Sechziger Jahre, gerne auch als „Sixties“ bezeichnet, sind eine Zeit des starken Umbruchs in der Welt. Es ist die Zeit des Kalten Krieges, aber auch der Bürgerbewegung, der Bürger- und nicht zuletzt der Menschenrechte. Auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) stellt mit seiner Erklärung „Gaudium et Spes“ den Menschen in den Mittelpunkt allen Handelns. Dieses veränderte Denken ist auch in der Weiterentwicklung von Stomaanlagen, Stomaversorgungen und Stomatherapien zu erkennen.
Nachdem der weitblickende Arzt Rupert B. Turnbull 1958 an der Cleveland Clinic in Ohio die Krankenschwester Norma Gill als erste Stomatherapeutin ausgebildet hatte, errichten beide zusammen 1961 eben an dieser Stätte das weltweit erste Ausbildungszentrum für den neu geschaffenen Beruf Stomatherapeut: die „Rupert B. Turnbull School of Enterostomal Therapy“. Die ersten auszubildenden Stomatherapeuten sind alle selbst Stomaträger oder haben einen Stomaträger als Familienangehörigen. Der ganz neue Beruf etabliert sich schnell. 1968 schließen sich in den USA die Stomatherapeuten in einem Berufsverband zusammen zur „North American Association of Enterostomal Therapists“, der später zu einer internationalen Vereinigung wird, die „International Association for Enterostomal Therapy, IAET“.
Auch die Stomaträger selbst, deren Zahl ständig wächst, finden sich in Selbsthilfegruppen zusammen. In den USA hatten sich schon in den 1950er Jahren erste regionale kleine Gruppen von Stomaträgern gegründet. 1962 vereinigen sie sich zu einem nationalen Netzwerk der „United Ostomy Association of America, UOAA“. Sie werden zum Vorbild für andere Selbsthilfegruppen in aller Welt. Die Entdeckung von Karaya für den Einsatz am Stoma ist auch wieder mit dem Namen von Turnbull verbunden. Schon 1952 machte Turnbull durch Zufall eine folgenreiche Entdeckung. Beim Aufräumen des Schreibtisches seines früheren Chefs an der Cleveland Clinic stieß er versehentlich eine Büchse mit Haftpulver für dessen Zahnprothese um und verschüttete eine Tasse Kaffee. Das Karaya-Pulver sog sogleich den Kaffee auf und klebte an Turnbulls Hand. Turnbull erkannte sofort, daß Karaya geeignet wäre, die dünnflüssigen Ausscheidungen bei Ileostomie zu absorbieren und so die Haut auch vor dem aggressiven Stuhl zu schützen. Karaya ist ein Gummi des indischen Stinkbaumes Sterculia, also ein natürliches Baumharz. Alle Gummen können Wasser aufnehmen, Karaya sogar das Vier- bis Fünffache des Eigenvolumens.
Ab 1960 wird dann Karaya für Stomaversorgungen systematisch eingesetzt – wieder ein großer Fortschritt in der Entwicklung des Hautschutzes von Stomaversorgungen. Karaya ist für fast zwei Jahrzehnte das Zauberwort in der Versorgung. Gegenüber den Klebeflächen mit Zinkoxid hat es eine größere Hautverträglichkeit. Es wird auch als modellierbare Hautschutzpaste eingesetzt und auch als Hautschutzring. Besonders die Versorgungen von Ileostomien werden so entscheidend verbessert. In den USA ist es schon Mitte der 1960er Jahre das Haftprodukt der ersten Wahl für Stomaversorgungen. Doch schon in den 70er Jahren wird es nach und nach verdrängt durch Haftflächen aus hydrokolloidem Material auf Gelatinebasis, wie wir sie heute kennen. Sie zeichnen sich durch eine noch sicherere Haftung und eine nochmals höhere Hautverträglichkeit aus.
Seit Beginn der Stomaanlagen in der Neuzeit gehört zu den großen medizinischen Herausforderungen, auch bei einem künstlich angelegten Darm- oder Blasenausgang Kontinenz zu erreichen, d.h. eine Kontrolle über den Abgang von Ausscheidungen. Die Ergebnisse waren nie zufriedenstellend. Bis es 1962 dem in Finnland geborenen Chirurgen Nils Kock im schwedischen Göteborg gelingt, eine kontinente Ersatzblase zu formen – aus einem Teil des Dünndarms des Patienten, dem zuvor die Harnblase entfernt wurde. 1969 entwickelt er nach demselben Prinzip auch für Ileostomien ein Reservoir aus Dünndarmmaterial, das sich im Körper befindet und einen Ausgang zur Bauchdecke besitzt. Füllt sich dieses künstlich geformte und kompliziert gefaltete Reservoir mit Körperausscheidungen, verschließt es sich durch den steigenden Druck nach außen. Diese Art von Ventil macht das Stoma nach außen dicht. Zumindest in diesem Sinne ist eine Kontinenz erreicht. Zur mehrmals täglichen Entleerung dieser „Kockschen Tasche“ (auch „Kock-Pouch“ genannt) bedarf es eines Katheters, der in das Stoma eingeführt wird und über den der Inhalt des Reservoirs direkt in die Toilette abfließt. Eine Versorgung mit Beuteln ist nicht nötig. Diese sehr aufwendige Operationsmethode von Nils Kock ist bahnbrechend. Sie führt zu weiteren anderen Formen von kontinenten Stomaanlagen in den 80er Jahren, die für manche Stomaträger ein besonders hohes Maß an Lebensqualität sichern können.
Mehr als alle Zeit zuvor wird so in den 60er Jahren erkannt, daß es wichtig ist, nicht nur durch einen chirurgischen Eingriff und die Anlage eines Stomas einem Patienten das Leben zu retten, sondern darüber hinaus auch dafür zu sorgen, daß diese gewonnenen Lebensjahre auch wirklich lebenswerte Jahre sind.
Quelle:
„For Life Kurier“, 2/2008
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Redaktion: Andreas Maydorn
Autor der Artikel: Andreas Maydorn
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von Webkänguru » 19.05.2009, 09:55
Neue Ideen, alte Träume
Die Sternstunde der Stomapflege in den 70er Jahren.
„Vater und Mutter der Stomatherapie in Australien“ werden sie manchmal genannt: der bedeutende Chirurg Edward Stuart Reginald Hughes und die erste australische Stomatherapeutin Elinor Kyte. Beide arbeiten schon in den 60er Jahren eng zusammen am Royal Melbourne Hospital, schaffen die Basis einer professionellen Stomatherapie in Australien und veröffentlichen gemeinsam mehrere wichtige Schriften über Ileostomie und Kolostomie.
Einer ihrer Patienten, eine junge Frau, leidet 1969 schwer unter nicht heilenden Wundstellen sowohl um ihr Stoma als auch gleichzeitig um eine Fistel. Elinor Kyte kommt auf die Idee, zur Wundheilung zunächst nur an der Fistel ein relativ neues Verbandsmaterial aus der Zahnmedizin einzusetzen. Die Heilung und die Schmerzlinderung treten außerordentlich schnell ein. Ermutigt durch diesen Erfolg, wird drei Wochen später dieses neue Material von Hughes und Kyte auch am hochgradig entzündeten und wunden Stoma derselben Patientin eingesetzt. Auch die schon sehr stark angegriffene peristomale Haut der Patientin heilt wiederum schnell und gut.
Das eingesetzte Präparat ist Orahesive™, das 1967 von dem Unternehmen E.R. Squibb Inc. auf den Markt gebracht wurde – ein im zahnmedizinischen Bereich eingesetztes, flaches, quadratisches Wundpflaster mit einer Seitenlänge von 7,5 cm. Seine hydrokolloide Substanz bleibt auch im feuchtwarmen Klima des Mundes haftfähig und begünstigt die Wundheilung. Wie bei dem Haftmaterial Karaya wiederholt es sich, daß ein Material aus der Zahnheilkunde neue Maßstäbe für Stomaversorgungen setzt, allerdings von noch weitaus größerer Bedeutung.
1970 veröffentlichen Hughes und Kyte ihre Erfahrungen für die medizinische Fachwelt unter dem Titel „Peristomal skin protection with Orahesive™“: Ihr erfolgreicher Einsatz von hydrokolloidem Material revolutioniert die Stomaversorgung weltweit und setzt neue Maßstäbe, die bis heute gelten. Das bisherige Dentalprodukt wird 1972 umgehend für die besonderen Erfordernisse im Einsatz am Stoma angepaßt. 10 mal 10 cm groß erhält es den Namen Stomahesive™. Die Herstellung von Stomaprodukten führt Squibb ab 1978 unter dem eigenständigen Firmenbereich Convatec.
Die Hydrokolloide sind eine Mischung u.a. aus Zellulose, Gelatine und Pektin. Dabei ergänzen sich die unterschiedlichen Eigenschaften der Bestandteile geradezu ideal für den Einsatz in der Stomapflege: Sie lassen eine Stomaversorgung sicher und dicht am Körper haften, schützen die Haut rund um das Stoma vor Ausscheidungen, lassen wunde Haut in Ruhe ausheilen und regen dabei die Bildung von neuer gesunder Haut an. Für alle Hersteller von Stomaversorgungen wird so innerhalb kürzester Zeit der Einsatz von Hydrokolloiden zum Standard: Hautschutz in Form von Platten, Ringen, Pulvern und Pasten.
Hughes und Kyte haben mit ihrer Entdeckung eine neue Ära für die Stomaversorgung und damit auch für die Wundversorgung eingeleitet. Nach beiden sind heute in Australien Auszeichnungen und Preise benannt für besondere Leistungen in Medizin und Pflege. 1977 wird Hughes für seine außerordentlichen Verdienste als Chirurg von Königin Elisabeth II. zum Ritter Sir Edward Hughes geschlagen.
Mit großen Erwartungen und Hoffnungen ist 1974 zunächst die Erfindung des „Erlanger Magnetverschlusses“ verbunden. Der deutsche Arzt Herbert Feustel und der Ingenieur Gerhard Hennig, eine weltweite Koryphäe der Magnettechnik, entwickeln einen Stomaverschluß, der eine weitgehende Kontinenz, also Kontrolle über die Körperausscheidungen an einem künstlichen Darmausgang, bewirken soll. Dazu wird ein ringförmiger Magnet unter der Haut rund um das Kolostoma implantiert. Ein pilzförmiger Stöpsel mit weiteren Magneten paßt sich durch die Anziehungskräfte in das Stoma ein und schließt es nach außen dicht ab. Der Stomaträger kann den Zeitpunkt für Stuhlausscheidungen selbst bestimmen, während Darmgase jederzeit gefiltert entweichen können. Nach außen ist das Stoma durch den flach aufliegenden Verschlußdeckel sehr unauffällig. Es ist eine großartige Idee, mit der Herbert Feustel auch 1975 dann zum Professor habilitiert. Doch in der Praxis kann sich die Methode nie richtig durchsetzen: Bei einigen Stomaträgern mit dem Magnetverschluß kommt es zu gefährlichen Durchblutungsstörungen und sogar zum Absterben von Zellgewebe, bei anderen gibt es Probleme mit dem implantierten Magneten.
Weitere Versuche, Kontinenz bei einem Stoma zu erreichen, erfüllen ebenfalls nicht die Erwartungen – auch nicht die Schließmuskelersatzplastik aus körpereigener Darmmuskulatur 1978 von E. Schmidt, H.P. Bruch und M. Greulich in Würzburg durchgeführt. Leider wird eben nicht jeder durchaus kluge und kühne Gedanke in der Praxis auch durch Erfolg gekrönt. Und manchmal gibt es wie beim hydrokolloidem Hautschutz eine regelrechte Sternstunde.
Quelle:
„For Life Kurier“, 3/2008
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Autor der Artikel: Andreas Maydorn
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von Webkänguru » 19.05.2009, 09:57
Den Funken weitergeben
Deutsche Vereine und Verbände in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Mit den bahnbrechenden Erfindungen des selbsthaftenden Stomabeutels (ab 1957) und des hydrokolloiden Hautschutzes (ab 1972) hat die Versorgung von Stomata international in sehr kurzer Zeit einen hohen Standard erreicht. Er trägt bis heute entscheidend bei zur Lebensqualität eines jeden Stomaträgers.
Dennoch stellt bis heute die Anlage eines künstlichen Darmausganges oder einer Harnableitung einen tiefen Einschnitt in das Leben eines jeden Betroffenen dar.
Das erkennt auch schon Ende der 50er Jahre der bedeutende Arzt Rupert B. Turnbull im US-amerikanischen Bundesstaat Ohio: Wer ein Stoma angelegt bekommt, bedarf schon vor der Operation und auch lange danach einer ganz besonderen pflegerischen Betreuung, die auch mit allen seelischen und sozialen Ängsten des Patienten umzugehen weiß. Unter Turnbull an der Cleveland Clinic wird so die Stomaträgerin Norma Gill 1958 die allererste Stomatherapeutin. Schon wenige Jahre später wird in den USA die neu geschaffene Berufsgruppe der Stomatherapeuten anerkannt: Turnbull und Gill gründen 1961 gemeinsam die weltweit erste Schule für Enterostomatherapeuten. Diese zielorientierte Weiterbildung absolvieren ausgebildete Krankenschwestern und -pfleger, die nicht nur aus den USA kommen. So wird dort 1976 Anneliese Eidner als erste deutsche Stomatherapeutin ausgebildet. Ihr Wissen gibt sie danach in 14tägigen Weiterbildungskursen am Universitätsklinikum Erlangen weiter. Die erste deutsche Schule für Stomatherapie startet 1978 an der Universitätsklinik in Düsseldorf mit Unterstützung durch Turnbull. Nortrud Schindzielorz, die zuvor rund 12 Jahre an der Cleveland Clinic gearbeitet hat, leitet dort die ersten sechswöchigen Kurse, nach den Richtlinien des neugegründeten Weltverbandes für Stomatherapeuten W.C.E.T.
1979 wird als erster eigenständiger bundesdeutscher Fachverband auch die DVET gegründet, die Deutsche Vereinigung der Enterostomatherapeuten. Ausbildungsorte und -dauer ändern sich in der folgenden Zeit. Auch das Aufgabenfeld wird sinnvoll erweitert und schließt heute die Themen Inkontinenz und Wunde mit ein. 2003 wird dann als zweiter Fachverband für Stomatherapie der ECET Deutschland e.V. gegründet.
Vorbild sind die USA auch für die Selbsthilfegruppen von Stomaträgern, die sich dort schon in den 50er Jahren bilden. In der Bundesrepublik gründet im Januar 1972 der Chirurg Dr. Konrad Arnold in Wiesbaden zusammen mit einigen Stomaträgern eine erste Arzt- Patienten-Initiative in Deutschland. Aus seinen Auslandsaufenthalten wußte er: Es sind ganz besonders die Stomaträger selbst, die anderen vor und nach einer solchen Operation glaubwürdige und praxisnahe Hilfe und Rat geben können. Ab 1975 wird aus dieser Initiative dann die Deutsche ILCO e.V. als reine Selbsthilfeorganisation. Der Vereinsname setzt sich zusammen aus den Wortanfängen der medizinischen Bezeichnungen für Dünndarm (Ileum) und für Dickdarm (Colon).
Die Deutsche ILCO ist heute mit weit mehr als 9000 Mitgliedern in mehr als 300 örtlichen Gruppen eine der größten und ältesten Organisationen in der Gesundheitsselbsthilfe in Deutschland. Sie wird ausschließlich von Betroffenen in inhaltlicher und finanzieller Unabhängigkeit organisiert. Ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter unterstützen und helfen seitdem unzähligen Stomaträgern, Darmkrebsbetroffenen und deren Angehörigen mit Informationen in Wort und Schrift und dem Erfahrungsaustausch vor Ort.
Quelle:
„For Life Kurier“, 4/2008
„For Life Kurier“ ist eine kostenlose Kundenzeitschrift von der FOR LIFE GmbH
Herausgeber: K.-Thomas Brie
Redaktion: Andreas Maydorn
Autor der Artikel: Andreas Maydorn
Grafik: grafikstudio heutger, Zeudenroda
von Webkänguru » 19.05.2009, 09:59
Die Lebensqualität sichern
Letzte Folge und Resümee unseres geschichtlichen Rückblicks
Seit der ersten gelungenen Stomaoperation im Jahr 1793 durch Duret in Frankreich hat ein künstlich geschaffener Darmausgang und später auch eine künstliche Harnableitung zahllosen Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten das Leben gerettet. Viele bedeutende Ärzte haben die Operationsmethoden fortwährend verbessert und weitere neue chirurgische Lösungen gefunden: Heute werden künstliche Darmausgänge immer häufiger so angelegt, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt nach Ausheilung einer Krankheit auch wieder zurückverlegt werden können.
Daß für einen Stomaträger die gewonnene Lebenszeit auch eine Zeit mit hoher Lebensqualität ist, dazu hat erst die junge Entwicklung der modernen Stomaversorgung geführt. Drei bahnbrechende Ideen haben zu den Stomaversorgungen geführt, wie wir sie heute kennen.
1934 erfindet in Chicago der Chemiker Henry Koenig – selbst Stomaträger – eine neuartige flache Stomaversorgung mit einen wiederverwendbaren Gummibeutel zum Ausstreifen. Die später zusammen mit dem Produzenten Henry Rutzen serienmäßig hergestellten Koenig-Rutzen-Beutel setzen zusätzlich zur Halterung durch Gürtel auch schon Gummiklebstoff für eine dichtere Haftung an der Haut ein und revolutionieren die bis dahin völlig unzureichende Versorgung von Stomata des Dickund Dünndarmes.
Ein weiterer Meilenstein ist 1954 die Erfindung der dänischen Krankenschwester Elise Sørensen: der Versorgungsbeutel als selbstklebendes Wegwerf-Produkt.
Die dritte entscheidende Idee hat 1969 der australische Chirurg Edward S. R. Hughes: der Einsatz von Hydrokolloiden als zuverlässiges Hautschutz- und Haftmaterial.
Seit den 90er Jahren gibt es bei den Versorgungsprodukten ständig Verbesserungen in den Details. Heute gibt es Versorgungsbeutel mit Filtern gegen den Geruch und für den nötigen Luftaustausch. Ein weiches Vlies erhöht den Tragekomfort und mindert Geräusche. Konvexe Versorgungsplatten ermöglichen auch bei nicht prominenten Stomata einen sicheren Halt der Versorgung und verhindern so eine Unterwanderung durch Stuhl.
Entscheidend zur Verbesserung der Lebensqualität von Stomaträgern hat auch die Schaffung des völlig neuen Berufes „Stomatherapeut“ 1961 in Ohio beigetragen. Seit 1978 werden Stomatherapeuten ebenfalls in Deutschland ausgebildet.
Aus den Vereinigten Staaten der 50er Jahre stammt auch der Gedanke an Selbsthilfegruppen für Stomaträger. 1972 gründet sich dann in Wiesbaden der Vorläufer der ILCO, die heute mit mehr als 9000 Mitgliedern eine der größten Organisationen und Interessensvertretungen in der deutschen Gesundheitsselbsthilfe ist.
Die jüngste gravierende Neuerung betrifft die Kommunikation. Durch das Internet ist es seit 1993 allen viel leichter möglich, schnell und jederzeit an Informationen zu gelangen und auch Gedanken auszutauschen. So gibt es im Internet seit 2001 in Deutschland unter www.stoma-forum.de eine herausragende Plattform für Stomaträger und deren Angehörige.
Es ist eine gute Zeit, in der Stomaträger heute leben können. Es hat lange gedauert, dies zu erreichen.
Quelle:
„For Life Kurier“, 1/2009
„For Life Kurier“ ist eine kostenlose Kundenzeitschrift von der FOR LIFE GmbH
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Autor der Artikel: Andreas Maydorn
Grafik: grafikstudio heutger, Zeudenroda
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