von pelztier86 » 04.12.2009, 20:15
Hallo Sabine,
sicher hast du schon meinen Beitrag zu meiner Problematik einer neurogenen Blasenentleerungsstörung aufgrund eines akontraktilen Detrusors gelesen. Diese Störung wird von meiner Grunderkrankung (intestinalen Pseudoobstruktion) verursacht. Zu dem hypokontraktilen Detrusor scheine ich aber auch eine hyperkontraktile/sensible Komponente zu besitzen (wie das geht, wissen die Ärzte auch nicht), denn ich habe schlimme Spasmen in der Blase/Harnröhre.
Nun habe ich schon oft vom Mainz-Pouch gelesen. Du schreibst aber immer, du hättest eine Neoblase. Meiner Nachforschung nach sind der Mainz-Pouch und die Neoblase zwei verschiedene Dinge. Beim Mainz-Pouch wird ein Ersatz-Urin-Reservoir aus Darm geschaffen, was dann über den Bauchnabel abkatheterisiert wird.
Bei der Neoblase hingegen soll man in der Lage sein ganz normal über dei Harnöhre zu entleeren. Du scheinst aber so einen Mix zu praktizieren, da du deine Neoblase über die Harnröhre katheterisierst..wie geht das?
Bei der Neoblase muss ja die Harnröhre/Schließmuskel in Ordnung sein, damit man normal entleeren kann und damit diese überhaupt angelegt wird.
Meine Schließmuskel scheinen in Ordnung zu sein (also keine Dyssynergie von Detrusor/Schließmuskel), aber ich glaube kaum, dass ichin der Lage wäre bei einer Neoblase normal zu entleeren, da mein gesamter Beckenbereich und auch der Darm, der zur Neoblsae verwendet würde, von der Bewegungsstörung betroffen ist bzw. hier Degenerationen von Nerven und der glatten Muskulatur vorliegen. Gäbe es dann die Möglichkeit mit dem ISK zu entleeren?
Wie funktioniert das bei dir? Ich verstehe nicht ganz den Zusammenhang, wenn du schreibst, dass der ISK aufgrund deines spastischen Schließmuskel funktioniert.
Danke schon mal für deine Antwort!
Sarah
von Sabine049 » 08.12.2009, 20:34
Hallo Sarah,
Deine Anfrage gezielt an mich gerichtet, ist mir bedauerlicherweise durch die Lappen gegangen; obwohl mich unser Webkänguruh Christian am vergangenen Samstag per PN benachrichtigt hatte.
Nach wie vor bin ich _nur_ sporadisch und wenn - meistens auf einem Sprung - im Forum unterwegs!
Zwecks Beantwortung Deiner Frage muss ich á bissle ausholen :
Also ich, wie ich Dir bereits in Deinem 1. Thread mitteilte, bin von einem komplexen Fehlbildungssyndrom betroffen quasi von Geburt an fehlten mir u.a. das Poloch und der Mastdarm war anatomisch betrachtet nicht richtig angelegt = Fachterminus: Analatresie mit einer hohen rektovaginalen Fistel, die im Alter von etwa acht Wochen operativ durch einen sog. Dammschnitt chirurgisch erweitert wurde, um die Um- und Ausleitung des Stuhls über die Vagina zu sichern, ansonsten wäre ich nach wenigen Monaten an einem Akutileus gestorben. Permanentes Bougieren, Coloanale Durchzüge etc. folgten, meine Blasensymptomatik begann etwa mit dem 6. Lebensjahr, wurde jedoch wg. weiterer Fehlbildungen u.a. einer Sakralagenesie, Tumorbildung an den Eierstöcken usw. und dem V.a. Spina bifida occulta nicht erkannt, sondern erst in der Oberstufe, wo sich schleichend eine Schrumpfblase abzeichnete und mittels urodynamischer Messungen eine "low compliance-bladder" diagnostiziert wurde.
Ich war in Deinem Alter, als ich erstmalig in der damaligen "Urologenhochburg" Kassel (Städt. Klinikum Kassel) vorstellig wurde. Der Leiter und einstige Urologenpapst Prof. Hansjörg Melchior stellte dann relativ schnell eine Schrumpfblase infolge einer Spina bifida (Neuralrohrdefekt) fest. Hinzufügen muss ich, dass das gesamte Ausmass der Tragweite erst 10 Jahr später undzwar Mitte der "Neunziger" festgestellt wurde als Zufallsdiagnose. Diese Zufallsdiagnose entpuppte sich als die seltenste Form der Spina bifida nämlich einer ventralen Sb nebst einem riesigen prässakralen Tumor, der umschlossen war von den Rückenmarkshäuten (Meningocele), in dem das Rückenmark fixiert war (Tethered-Cord-Syndrom), sodass bereits die gesamten Beckenorgane verdrängt worden waren. Auslöser des beherzten Eingreifens waren stete Subileuszutände. Auf diese Form des "offenen Rückens" wird literarisch nur diskret hingewiesen, weil in der gesamten Medizingeschichte höchstens 100 Fälle bekannt sein dürften.
Zurück zu meiner neurogenen Blasenfunktionsstörung. Bei mir lag nachweislich eine Dyssynergie von Detrusor und Schließmuskel vor quasi die Blase = bladder war hyperaktiv und der sphinkter spastisch gelähmt. Infolgedessen nahm der Blasendruck kontinuierlich und suksessiv zu, sodass ich bereits bei einem Fassungsvolumen von circa 90 ml unter heftigen Krämpfen litt, der Sphinkter hingegen entspannte sich rein allein, wenn der Druck unerträglich und Überhand nahm/wurde. Trotz Urinabganges hatte ich selbst bei "90 ml" nach dem Urinieren Restharnmengen von round about 40 ml - 50 ml. Aufgrunddessen schrumpfte die Blase zusehens - im wahrsten Sinne des Wortes - es geschah binnen weniger Monate. Erreichte ich nicht rechtzeitig das stille Örtchen, war ich nass, zuguterletzt ein dreiviertel Jahr vor der Operation war ich permanent eingenäßt, ein HWI folgte dem nächsten und die Krämpfe ließen mich keine Nacht durchschlafen. War mir bereits bestens bekannt von meiner Stuhlinkontinenz her; ein Umstand mit, der die sichere Diagnosestellung erschwerte. Hatte ich Stuhlgang, lief auch generell Urin ab bzw. umgekehrt. Da bei mir ferner alles nah beieinander lag/liegt, dürfte es selbst für einen Laien nachvollziehbar sein. Ich kannte die Situation ohnehin nicht anders, ergo ...!
Zunächst wurde ich konservativ mittels Oxybutinin - wurde damalig extra aus Schweden importiert - für den Detrusor (Blasenhohlmuskel) und Lioresal = Wirkstoff Baclofen für den völlig verkrampften Sphinkter therapiert. Lioresal schlug erst bei einer Dosis von 120 mg (orale Applikation) an , aber ohne den unterstützenden ISK wurde kein befriedigender Behandlungserfolg verbucht; des weiteren litt ich ("zartes Persönchen") von knapp 40 kg Körpergewicht bei 161 cm Körpergröße unter den völlig unakzeptablen NW. Unter der Medikation war meine Lebensqualität auf ein NULL gesunken ; ich konnte meinen Beruf nicht weiter ausüben und vegetierte vor mich hin (lallend/desorientiert/torkelnd etc. - grausig).
Alternativ bot der Prof. mir und meinen Eltern die Operation an. Prof. Melchior hatte dieses Op-variante zuvor bei - m.W. - etwa 25 Männern und einer weiteren jungen Frau angewandt. Die Mitpat. hatte wie ich eine Spina bifida.
Rein faktisch - der Eingriff wurde ursprünglich bei Männern nach einer Zystektomie infolge eines Ca ergo Blasenkrebs durchgeführt, wenn schließmuskelerhaltend operiert werden konnte. Zudem ist aufgrund der anatomischen Länge der männl. Harnröhre (die männliche Urethra ist dreimal so lang wie die weibliche) gesichert, dass der Pat. postop. nicht undicht quasi inkontinent wird.
Wegen meines nicht relaxierenden Sphinkters waren die Aussichten auf Erfolg relativ gut - selbstverständlich unter der Prämisse, dass ich zeitlebens weiterhin den erlernten ISK (intermittierender Selbstkatheterismus) durchführe.
Postop. und div. Komplikationen wie hoher Blutverlust (ausgeglichen durch mehrere Bluttransfusionen), steten HWI´s undundund ... trainierte ich meiner Ersatzblase (Neoblase) innerhalb von drei Wo. auf ein Fassungsvermögen von 270 ml; und nach einem halben Jahr fasste diese *schlappe* 700 ml ohne jedweden Druckanstieg bzw. krampfartigen Schmerzen und dank des ISK war ich vollkommen dicht.
Wg. meiner heutigen Immobilität wäre eine operative Ausleitung entweder der Harnröhre selbst oder eines künstl. geschaffenen Nippels über den Bauchnabel denkbar, allerdings bin ich dermassen "verschnitten", sodass explizit im Akutfall sprich erneuter ILEUS oder Perforation operiert würde - behaftet mit einem sehr hohen Risiko.
Jetzt ist mein Beitrag doch länger geworden als gewollt - sorry! Vllt. hat Dir meine ziemlich kompremierte und deshalb teils irreführende Berichterstattung bzgl. meiner Problematik ein wenig mehr Klarheit verschafft.
Ansonsten kannst Du mich gern nochmals direkt ohne Umwege und Umschweife per PN o. E-Mail kontaktieren.
Gegenwärtig "kämpfe" ich mit meinem Hartmannstumpf, weswegen ich voraussichtlich Anfang kommenden Jahres mich in coloproktologisch-chirurgische Hände begeben werden muss!
Bis dahin lebe ich im "Hier und Heute"!
Liebe Grüße
Sabine
von Linie 22 » 08.12.2009, 21:02
Carpe diem. das machste rischtisch, Sabine
selbst wenn es noch so schwer fällt
Bis dahin lebe ich im "Hier und Heute"!
von Sabine049 » 08.12.2009, 21:04
Hallo Sarah,
war schon ausgeloggt, fiel mir just wie Schuppen von den Augen: ein hyperaktiver Detrusor kann/konnte abgeschält werden, sodass - laienverständlich - die "internen" Nerven, die direkt auf der Blase liegen - "gehäutet" wurden; somit wurde/wird die Innervation automatisch heruntergefahren und ggfs. komplett normalisiert.
Dieser weit weniger belastene Eingriff wurde früher häufig in der pädiatrischen Urologie praktiziert.
Sabine
von Sabine049 » 09.12.2009, 19:17
, Dir, liebe Silke für Deine mentale Unterstützung!
Gegenwärtig frißt mich der Alltagsstress ein bisschen auf; insbesondere in der Winterzeit - ausgerechnet just kündigt sich "Väterchen Frost" an. Obwohl ich ein "Winterkind" bin, könnte ich herzlich gern auf diesen verzichten, weils mich in meiner Schaffenskraft und Mobilität zusätzlich einschränkt.
Bemühe mich allerdings gegenwartsbezogen zu leben, somit ziehe ich mich nach meinen "Verpflichtungen" aufs Sofa zurück, lese ein spannendes Buch oder schaue mir entweder informative Dokumentationen, Reportagen, kulturelle Sendungen etc. oder triviale Spielfilme mit viel "Herzschmerz" an.
Liebe Grüße von der leicht in den Winterschlaf versunkene
Sabine
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